Für das Cover meines Buches „Zwei Inseln, ein Meer“ ist durch die Fotografin Juliane ‚Linse‘ Befeld [Linsensüppchen 54] eine wunderschöne Fotoreihe entstanden. Einige Bilder habe ich für das Marketing genutzt und möchte sie euch hier nun zusammen zeigen. Mehr Infos zu dem Buch und dem Fotoprojekt findet ihr am Ende des Beitrages.
Ich sende euch Liebe und eine dicke Umarmung. Habt Sonne im Herzen.
Den Kurzroman „Zwei Inseln, ein Meer“ habe ich im Herbst 2020 veröffentlicht. Es ist mein erstes Buch, welches ich alleine im Selfpublishing herausgebracht habe. Als es um das Cover ging, habe ich sofort an Juli als Fotografin gedacht. Ich kenne ihre Arbeiten schon seit vielen Jahren und sie berühren mich immer auf besondere Weise. Ich bin ihr sehr dankbar für diese Fotos, denn sie bilden für mich eine Brücke von meinem Text hin zu euch.
In meiner neuen Blog-Serie „1 Buch 5 Fakten“ erfahrt ihr noch weitere Details zu „Zwei Inseln, ein Meer“.
Mir fiel es sehr schwer, mich für ein Cover-Bild zu entscheiden. Hättet ihr ein anderes gewählt? Habt ihr ein Lieblingsfoto aus der Reihe? Schreibt mir, ich freue mich auf eure Meinung dazu (inaspostkasten@ina-steg.de).
Ein Gespräch unter alten Bäumen zwischen den Autor*innen Jess Tartas, Ina Steg und Morton Tartas über das Buch „Der Weg des Künstlers“ von Julia Cameron. Notizen, Gedanken und Erfahrungen über eine andauernde Reise, das Schreiben, den Mut, zu scheitern, liebevolle Weggefährten und das Selbstbild als Künstler*in.
Wie das Buch „Der Weg des Künstlers“ zu uns fand und warum wir uns entschlossen, es durchzuarbeiten.
Jess: Die Autorin und Kabarettistin Andrea Schomburg gab ein Theaterseminar an meiner Uni. Natürlich ging es hauptsächlich um Schauspiel, dennoch war ihre Lehre auch von ihrer Tätigkeit als Autorin geprägt. Ich sah in ihr eine außergewöhnliche Ansprechpartnerin und sagte in der letzten Sitzung frei heraus: „Ich will als Schriftstellerin arbeiten und davon leben können.“ Es gehört Mut dazu, dies so offen auszusprechen, denn oft wird man dafür belächelt oder stößt sogar auf Ablehnung und erhält Ratschläge, die einem davon abraten, es überhaupt zu versuchen. Frau Schomburg war aber ausgesprochen ermutigend und riet mir, mit dem „Weg des Künstlers“ zu arbeiten. Es hätte auch ihr geholfen, den Einstieg zu finden. Ich nahm ihren Rat ernst und bestellte mir umgehend das Buch in der kleinen Buchhandlung, die auf dem Heimweg von der Uni zu meiner Wohnung liegt. Am nächsten Tag ging es dann los.
Morton: Als Künstler empfand ich mich trotz der Gedichte, Theaterstücke oder Kurzgeschichten, die ich in meiner Jugend schrieb, zu keiner Zeit. Dann, als meine Geliebte, Jess, in einem Theaterseminar von der Dozentin das Buch empfohlen bekam, nahm Jess mich gleich mit auf den Weg des Künstlers. Es klang so sehr nach uns, die wir viel schrieben, aber nicht so recht wussten, wohin mit den Worten. Zu Beginn der Arbeit mit dem Buch kam wohl die Frage auf, was wäre denn, würden wir es ernst meinen, würden schreiben, um davon zu leben? Vor dem Buch lautete die Antwort darauf: Kategorienfehler, die Frage ist falsch gestellt, ich kann das nicht. Durch das Buch entkräftete sich diese kreative Kasteiung, es ist nun mehr folgende Antwort: Klar, mach doch!
Das Gemeinsame, das wir durch die Seiten des Buches nun teilten, war gespickt von unseren beiden Perspektiven, Zweifeln und Hoffnungen. Ich glaube, dass eine große Triebfeder, das Buch zu nutzen, die morgendlichen drei Seiten freien Schreibens sind. Ein Ritual, dass wir beide bis heute beibehalten.
Ina: Vor zwei Jahren verlor ich plötzlich die Leidenschaft am Schreiben. Ich arbeitete zu dem Zeitpunkt an der Entwicklung einer neuen Geschichte deren Figuren ich sehr mochte und auf die ich mich freute, aber trotzdem hatte ich keine Leichtigkeit mehr am Schreibtisch und ich kam kaum noch voran. Ich machte mich auf die Suche nach einem Schreibratgeber, in der Hoffnung, dass mich neue Denkanstöße motivieren könnten. Eher durch Zufall fand ich im Netz Camerons Buch. Ein Glücksfall. Ich fasste bereits nach den ersten Seiten den Mut, beim Schreiben eine Pause einzulegen und mich ganz und gar den wöchentlichen Aufgaben zu widmen. Nach und nach kam die Lust auf das Schreiben zurück und ich konnte mir dank der vielen unterschiedlichen Anregungen einen tolle Schatzkiste zusammenstellen, auf die ich nun immer wieder zurückgreifen kann.
Wenn die Kreativität nicht fließt und was uns dann hilft.
Morton: Nachdem ich verstanden habe, dass etwas meine Kreativität im festen Griff der Unproduktivität hat, geht es oft darum, die Ursache und Hilfsmittel dagegen zu erkennen. Zumeist ist es das Gespräch mit Jess, sie schreibt selbst und ist meine Gefährtin. Manchmal sind die Probleme klein, so wie Wetterfühligkeit oder Übermüdung. Dafür lässt sich mit einem Spaziergang sorgen.
Jedoch muss nicht immer etwas Problematisches vorliegen. Es kommt schließlich auch vor, dass die Geschichten mehr hergeben wollen, als ich selbst zu schreiben weiß. In solchen Fällen ist es auch wieder der Austausch, der die Kohlen anheizt, auf welchen ich bei freudigem Schreiben sitze.
Ein weiteres Kreativmittel ist für mich Musik. Ich versuche mich der Neugierde wegen, an verschiedenen Instrumenten oder probiere neue Griffe auf der Gitarre, die ich noch am besten beherrsche. Dies führt mich dann zur Musik von den Smashing Pumpkins, Nick Cave und Amanda Palmer. Deren Klänge wiederum wecken den Wunsch nach dem Draußen, frischer Luft und spazieren im Wald. All diese Handlungen sind an das Lesen anderer Autor*innen gekoppelt. So begleitet mich ein Buch in den Wald, in die U-Bahn und tapst mir in der Wohnung in jedes Zimmer hinterher. Die Worte darin, die linguistisch gezeichneten Bilder, sie stoßen mich an und machen mich sagen: Genauso will ich das auch!
Ina: Früher dachte ich, ich müsse auch in so einer Situation dranbleiben und unbedingt weitermachen. Jetzt mache ich viele Pausen, besonders wenn es gut läuft, denn mittlerweile weiß ich, dass ich mich dann besonders schnell auspowere und meine kreative Kraft verschleudere. Wenn ich neue Ideen brauche, gehe ich gerne spazieren, ohne bewusst über etwas nachzudenken. Mir helfen bunte, verrückte und liebevolle neue Eindrücke. Ich liebe zum Beispiel Museumsshops. Dort ist es oft ganz still und man kann andächtig durch Bildbände blättern oder die vielseitigsten Postkarten betrachten.
Ich beschäftige mich auch immer wieder mit ganz neuen Dingen, die gar nichts mit dem Schreiben zu tun haben. Neulich habe ich Kekse gebacken und sie mit Smarties und Pflaumenmus gefüllt. Ich kehre aus solchen Momenten mit viel Freude und Lust auf das Schreiben zurück. Es hilft mir außerdem, mich mit anderen über meine Sorgen auszutauschen. Ich stelle dann fest, dass ich damit gar nicht alleine bin und ich nicht zu streng mit mir sein sollte.
Jess: Manchmal brauche ich Abwechslung im Alltag und dann wieder Ablenkung vom Alltag. Inspiration erhalte ich durch Ortswechsel, beim Lauschen in der Stille, aber auch durch ein Wort, das Gedanken anstößt. Ich muss mir Zeit für Beobachtungen nehmen und was für mich ganz wichtig ist: Bücher lesen, Filme sehen, Hörspiele und Musik hören. Ich ziehe viel Kraft aus der Arbeit anderer. Manchmal inspiriert mich ein Satz in einem Text zu einer neuen Kurzgeschichte. Körperliche Bewegung tut mir auch gut, weil sie meine Gedanken nachhaltig in Bewegung versetzt. Es ist wichtig, mal ganz und gar Abstand vom Text zu nehmen und ihn liegenzulassen. Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen sind für mich auch essenziell, um ein Wir-Gefühl zu spüren und neue Ansätze kennenzulernen. Oh, und gutes, frisches Essen ist sehr wichtig. Schreiben ist ein ziemlich ganzheitlicher Prozess.
Was wir beim Schreiben um uns brauchen.
Ina: Wenn ich an einer Geschichte sitze, habe ich immer das entsprechende Notizbuch neben dem Tisch liegen. Für jedes Projekt habe ich ein eigenes Buch, damit nichts durcheinandergerät. Außerdem lege ich mir für jedes Projekt eine kleine Kiste an, in der ich Sachen sammle, die mir bei der Recherche begegnen oder die mich inspirieren. Für „Letzte Zutat Liebe“, in der die Hauptfigur Laura eine Astronautin ist, hatte ich unter anderem einen Bildband über das Weltall darin liegen, eine Spielzeug-Astronautinnen-Figur als Glücksbringer sowie ganz viele Notizzettel, auf denen ich mir Zitate von Astronaut*innen notiert hatte, als ich Dokumentationen der NASA über ihre Weltraumflüge geschaut habe.
Wenn es mir nicht gut geht, brauche ich die gute Energie von anderen. Dann klappe ich meine aufstellbare Pinnwand auf. Daran hängen Postkarten und Briefe von Freunden und meiner Familie sowie Bilder aus Filmen, die mir viel bedeuten. Wenn ich an meiner Steuererklärung sitze, ist der Tisch aus gegebenem Anlass ganz leer und eine Ödnis, da darf mich nichts ablenken, sonst ist es um meine Konzentration ganz schnell geschehen.
Ich arbeite manchmal in der Küche und mal an einem ausklappbaren Tisch im Wohnzimmer, was den Vorteil hat, dass ich nach jedem Projekt immer alles wegräume und beim nächsten Mal wieder Platz für Neues ist. Mir tut das gut, denn es ist jedes Mal wie ein neuer Start.
Jess: Am allerwichtigsten ist Ordnung für mich. Keine Pedanterie, aber es darf nichts herumliegen, was eigentlich weggeräumt gehört, weil es mich sonst zum Aufräumen verleitet. Ich muss also darauf achten, meinen Gedanken den Raum zu geben, den sie zum Wandern brauchen. Meine Augen dürfen nicht am Haushalt hängenbleiben, das bereitet auch irgendwie schlechte Laune. Ich habe aber sehr wohl Dinge um mich. Ich habe eine kleine Galerie von Fotos mit mir und Menschen, dir mir nahestehen und jenen, die ich bewundere und treffen durfte. Sibylle Berg, Heinz Strunk, Lindsey Way und Alfred Ladylike. Und auch ihr, Ina und Mort, seid an meiner Wand über dem Schreibtisch. Ich mag Gegenstände, die meine Fantasie anregen.
Gerade versammeln sich auf meinem Arbeitsplatz eine Hexenfigur, ein Hase und ein Zauberbuch vom Künstler Jon Carling, ein Holzwürfel von meiner Mentorin („Manchmal muss man würfeln“, schrieb sie mir dazu), Ganesha, ein kleines Stück vom Boden meiner alten Jugend-Disco, Actionfiguren von Rey Skywalker und Kylo Ren aus Star Wars, Bohnen und ein Schokofrosch aus Harry Potter, ein Bild von Fieberherz und ein alter Silberring. Es geht noch weiter: ein Zauberkessel von Bibi Blocksberg, eine Fledermaus, ein Wal aus Speckstein den Mort für mich gemacht hat, ein Beutel mit den ausgefallenen Schnurrhaaren meiner Katzen, ein Fake-Ausweis aus einer dystopischen Realität des Amerikas 2019, eine Hexenflasche und noch einiges mehr. Das klingt nach viel, ist es auch, aber es sind sehr kleine Dinge, deren Wirkung mächtig ist und darum bekommen sie ihren Platz.
Morton: An meinem Arbeitsplatz habe ich immer ein Heißgetränk: morgens Kaffee, zu allen anderen Tee. Schreibe ich auf Papier, so ist alles darin gegeben, den Stift über das Blatt zu führen. Ich finde es bemerkenswert, dass es bei weniger sinnlichen Reizen durch Papier, Füller oder Bleistift, weniger an Dingen um mich herum benötigt, als beim Schreiben am Computer. Hier brauche mehr analoge, sachliche Gegenstände, auf denen Hände und Augen ruhen: Tintenfässer, Kerzen, Bücher und Handschmeichler (ein gelber Jaspis). Ich habe digitale Bilder von Landschaften auf dem Desktop oder eine Reisebroschüre vorliegen, genauso wie Texte und Bücher, die zum jeweiligen Thema gehören und mich inspirieren.
Ob digital oder analog – ich habe gern ein weiteres Notizbuch für aufkommende Ideen bereit liegen. Camerons Rat folgend, begleitet mich bei Schreibfrust mein Künstlertotem, ein rosa Yoshi-Plüsch. Am liebsten schreibe ich zur Herbstzeit. Dann umgebe ich meine Schreibplätze mit gesammelten Laubblättern und den Früchten des Herbstes: Eicheln, Bucheckern, Kastanien und Nüssen.
Cameron empfiehlt jeden Morgen drei Seiten zu füllen, mit allem, was einem so durch den Kopf geht. Ihre „Morgenseiten“ begleiten uns auf besondere Weise.
Morton: Die Morgenseiten sind mir ein tägliches Ritual geworden, wie eine Literatenzigarette zum Kaffee. Nur gesünder und produktiver. Seit bald drei vier Jahren schreibe ich sie an den meisten Tagen und habe dabei immer freier Schreiben gelernt, was anfangs noch schwierig, sogar schmerzhaft gewesen ist. Da mir die Tätigkeit des Schreibens schon im Prozess des ersten Entwurfs meiner Projekte jeden Satz in perfekter Weise zu fertigen aufzudrängen schien, war es mir zunächst nicht vorstellbar, was das lose Schreiben überhaupt bringen solle. Doch das fehlende inhaltliche Ziel, sowie der nicht vorhandene Anspruch an Qualität, dies macht die Seiten zu einem befreienden Schreiben – es befreit mich vom langen Hadern und bringt mich ins Handeln in allen Lebensbereichen, wenn sie unwillkürlich Thema der Morgenseite werden.
Letztlich bedeutet es für meinen Tag ohne Morgenseite, dass sich die Gedanken über ihn verteilen und mich ungeordnete und auch zusammenhangslose Gedankenblitze ablenken. Mit den Morgenseiten erreiche ich für mich gesetzte Ziele leichter.
Ina: Ich habe die Morgenseiten immer mal wieder für mehrere Wochen am Stück geschrieben. In der Zeit passiert so viel mit mir, dass ich dann wieder eine Pause brauche. Ich empfinde die Seiten als ein Schreiben hin zu mir selbst. Die erste Seite ist meist sehr durcheinander und lose Gedanken reihen sich aneinander. Nach einiger Zeit bringe ich dann bestimmte Kernthemen auf das Papier. Das können Sorgen oder Ängste sein, ein Problem, mit dem ich nicht weiterkommen, aber auch überschwängliches, Dinge, die mich gerade faszinieren und beschäftigen, denen ich mich aber vielleicht nicht genug widmen kann oder nicht weiß, wie ich an sie rankomme. Auf der letzten Seite bekomme ich dann „Antworten“. Ich weiß, das klingt schräg, weil eigentlich bin ich selbst ja diejenige, die plötzlich die Lösungen ganz klar erkennt und niederschreibt. Dieser Prozess ist für mich sehr überwältigend, denn er bringt viel neuen Input, Ideen und Lösungen. Ich mache mir schon beim Schreiben der Morgenseiten einzelne Notizen. Oft lösen sie eine ganz akute Sache. Die anderen Notizen lege ich erstmal für ein oder zwei Wochen zur Seite und widme mich ihnen dann nach und nach.
Wenn ich die Morgenseite nicht schreibe, fehlen sie mir an den ersten Tagen sehr, weil im Kopf schnell wieder alles diffus und nicht so klar erscheint. Wenn ich damit nicht gut umgehen kann, schreibe ich die Morgenseiten wieder. Sie sind ein wertvolles Instrument, was ich dann nutze, wenn ich es unbedingt brauche oder mich auf dieses besondere Abenteuer einlassen will.
Jess: Zunächst war es eine echte Qual. Oft stand da: Meine Hand schmerzt. Mein Rücken schmerzt. Auf Seite 3: meine Seele schmerzt. Da wurde es dann interessant. Ich fand heraus, welchen Stift ich brauche, um mit der Hand gut schreiben zu können und auch die Seele ziept nicht mehr so sehr. 2018 machte ich eine lange Pause, denn ich war in Trauer. Rückblickend hätte es mir sicher gutgetan, aber ich konnte nicht. Als ich wieder begann, merkte ich, wie sehr sie mir gefehlt hatten. Wenn ich heute keine Morgenseiten schreibe, dann starte ich anders in den Tag. Es ist, als wäre ich weniger fokussiert und wüsste nicht ganz so genau, was ich erleben und erledigen will. Manchmal zwinge ich mich zu den Seiten, auch wenn da dann steht, dass ich Wäsche waschen will und dass es heute Pizza gibt. Manchmal versteckt sich dazwischen doch eine dringende Formulierung eines Wunsches.
Ich habe schon einige Male zurückgeblättert und festgestellt, dass ich mir viele meiner Wünsche erfüllt habe. Manche kleine, aber auch sehr große und lang gehegte. Das hätte ich vermutlich gar nicht bemerkt, wenn ich den Prozess nicht immer wieder aufgeschrieben hätte. Das ist ein gutes Gefühl, weil es mir zeigt, dass ich mich zielstrebig um mich und meine Bedürfnisse kümmere. Allerdings glaube ich, dass ich mir meiner Wünsche nicht so bewusst wäre, wenn ich sie nicht so oft formuliert und schriftlich festgehalten hätte. Über Wochen hinweg zu schreiben: „Ich werde dieses Skript im Mai abgeben, ich werde es tun, ich muss einfach, weil ich es will“ hat eine ganz andere Wirkung, als es zwischen Tür und Angel nur zu denken. Ich habe durch die Morgenseiten wohl auch gelernt, meine Ziele deutlich zu formulieren und sie sehr ernst zu nehmen.
Die inneren Kritiker – Begegnungen und Analysen
Jess: Er ist nie da, wenn ich still und brav für mich allein zufrieden bin. Er meldet sich, wenn ich glücklich mit meiner Arbeit bin und ich mich als Schriftstellerin mag. Wenn ich mit Ergebnissen und meiner Freude an die Öffentlichkeit gehen möchte, zum Beispiel auf Twitter, im Blog oder auf Veranstaltungen, dann funkt er mir kurz vorher dazwischen. Er sagt dann etwa: „Zeige mehr Demut. Gib nicht an. Du bist eingebildet.“ Er rollt auch mit den Augen und findet mich schrecklich lächerlich. Ich weiß diese Reaktionen des inneren Kritikers sogar auf konkrete Situationen und Personen in meinem Lebenslauf zurückzuführen, das habe ich in den Morgenseiten freigeschrieben. Denn auch da tauchte der Kritiker auf und streute überall Zweifel.
Es wird aber immer besser, weil ich weiß, dass es gar nicht meine eigenen Gedanken oder Ängste sind, sondern eigentlich die derjenigen, die einst solche ausbremsenden Dinge zu mir sagten. Stichwort: Verhinderter Künstler. Das sind Leute, die selbst gerne kreativ tätig wären, es aber aus verschiedenen Gründen nicht tun, und darum verhindern sie auch das kreative Glück anderer, um sich selbst damit zu beruhigen.
Ich sage meinem inneren Kritiker, dass er den Mund halten und sich verfatzen soll. Das tut mir erstmal gut. Dann nutze ich das im Buch empfohlene Totem als Symbol für mein inneres verletztes Künstlerkind und gebe ihm all den Zuspruch, den es gerade braucht. Inzwischen brauche ich dafür keine Minute mehr und dann ist die Sache abgehakt und ich kann weiterarbeiten.
Ina: Er meldet sich nicht nur wenn ich kreativ bin, sondern auch im Alltag. Beim Schreiben sagt er oft: du bist zu langsam. Im Alltag meint er, ich schaffe zu wenig.
Früher hat das dazu geführt, dass ich viel zu hektisch geschrieben habe, was die Überarbeitungszeit noch viel länger gemacht hat.
Ich hatte oft Angst, nicht jeden Tag ausgiebig zu nutzen und habe zig Sachen gemacht, mit dem Ergebnis, dass über lange Strecken nichts wirklich fertig wurde und ich mich total ausgepowert habe. Irgendwann habe ich festgestellt, dass mir dieses Verhalten weder guttut, noch dass ich Freude an den Dingen hatte, die ich gemacht habe. Ich versuche mich nun allem ganz und gar zu widmen und vor allem, nicht immer nur das Ziel vor Augen zu haben, um den nächsten Haken auf der To-do-Liste machen zu können.
Wenn der Kritiker nun meint, ich sei langsam beim Schreiben, kann ich ihm sagen, dass ich dafür den Genuss bei jedem Absatz empfinde und es sich bei der Überarbeitung auszahlen wird. Im Alltag freue ich mich über das, was ich geschafft habe und lobe und belohne mich dafür. Wenn ich Altpapier weggebracht habe, gönne ich mir eine Kugel Eis oder wenn ich nur öde Sachen machen musste, schaue ich einen besonders bunten und fröhlichen Film. Manchmal bin ich auch dankbar, wenn der Kritiker laut wird, denn dann setzt Trotz bei mir ein und ich denke: Weißt du was? Ich mache das wie ich will. Jetzt erst recht!
Morton: In jeder Möglichkeit zu schreiben verbirgt sich der Kritiker wie ein Teufel im Detail. Sei es ein Tweet, sei es das neue Kapitel einer literarischen oder wissenschaftlichen Arbeit, fast jedes Wort steht gegen den Zweifel an: „Ist das wichtig? Interessiert es überhaupt? Es gibt doch sicher mehr, bessere und würdigere Schreibende als mich.“ Allzu leicht vergesse ich, dass es nicht meine eigene Lust am Schreiben ist, die mich da anspricht. Natürlich nicht. Aber weil sich der Kritiker schon im Kopf am mentalen Immunsystem vorbeischlich, fällt er nicht so schnell auf und sieht aus wie ein wahrhaftiger Teil meines Selbst.
Bewusst wird er dann als das lähmende Neurotoxin, wenn ich im Gespräch mit anderen bin. Im Zusammensein liegt so viel mehr Potential, mehr Wissen, das zum Erkennen wird. Durch Camerons Definition vom Kritiker ist es mir möglich, die Entfremdung in den kritischen Stimmen zu erkennen. Dann stehe ich da wie Gandalf vor dem Balrog des Morgoth und rufe: Du kommst nicht in mein Herz!
Über Erkenntnisse und Ratschläge aus Camerons Buch, anderen Büchern oder von Künstler*innen, die in uns nachwirken und uns bereichert haben.
Ina: In Camerons Buch gibt es eine Übung, in der man sich daran erinnern soll, wodurch früher die eigene Phantasie beflügelt wurde. Bei mir waren es Spielzeugfiguren. Also habe ich mir eine Spielekiste angelegt und als erstes zog eine Dinosaurierfigur dort ein. Ein T-Rex. Er ist ganz bunt und seine Ausstrahlung gewaltig. Er erinnert mich daran, dass ich als Kind auch nur eine einzige Figur brauchte und rundherum entstand dann eine neue Welt. Er hilft mir, mich beim Schreiben daran zu erinnern, dass ich alles rund um eine Figur jederzeit sehen, fühlen und schmecken kann, wenn ich es möchte und brauche. Diese Kiste ist mittlerweile ein herrlich verrückter Ort, darin befinden sich Scharniere, Sticker, Farbtöpfe, Pinsel und Actionfiguren.
In Camerons Buch „Von der Kunst des kreativen Schreibens – Der Weg zum inspirierten Schriftsteller“ gibt es ein Kapitel über Ausdrücklichkeit. Die Kernaussage: Schreibe, was du sagen willst und zwar in all seiner Direktheit und Klarheit. Ich blockiere mich oft, weil ich angelernte Standartformulierungen und Sprachbilder benutze. Bei der Überarbeitung meiner Texte versuche ich mittlerweile diese aufzuspüren und frage mich: was willst du wirklich sagen? Die Formulierung wird danach meist viel einfacher, aber dennoch direkter. Ich habe das auf viele andere Bereiche übertragen. Von einem geschäftlichen Brief oder einer Mail schreibe ich oft eine erste Version und packe dort alles hinein, was ich wirklich sagen will. Das hat zwei Effekte: Zum einen ist dann alles mal raus, was ich zu sagen hatte. Das können auch gerne mal Beschimpfungen sein oder alles, was mich gerade an der Situation ärgert. Zudem komme ich viel schneller auf den Punkt, weil ich in der Ausdrücklichkeit klar und einfach bleibe. Ich muss in der zweiten Version meist gar nicht mehr viel ändern. Ja gut, die Sätze mit den Beschimpfungen nehme ich natürlich raus, aber ich kichere herzlich dabei.
Mich formen und bereichern Begegnungen mit anderen und ich denke, viele Menschen wissen oft gar nicht, was sie alles auslösen können, indem sie zuhören, ihre Erfahrungen teilen oder versuchen, sich in andere hineinzuversetzen. Ich durfte zum Beispiel für ein Foto-Projekt mal eine Schauspielschülerin einen Tag lang begleiten und konnte ihr beim Unterricht und ihren Proben zusehen. Das ist zwölf Jahre her und immer, wenn mir alles zu viel wird, besinne ich mich auf ihre besondere Energie, mit der sie jedem Augenblick begegnete. Ein Moment fließt in den anderen. Der Fokus liegt auf dem, was man jetzt gerade tut und zwar, mit all dem, was man gerade fähig ist, zu geben. Ohne Bewertung, ohne streng mit sich zu sein. Für mich ist das meine Definition von Leidenschaft und Hingabe geworden, die ich ohne sie, vielleicht so nie empfunden hätte.
Morton: Für mich sind die Morgenseiten zum Alltag geworden. Ich habe durch sie und das Buch Camerons auch gelernt, dass ich es mir und meiner Kreativität wert bin, mich mit Kleinigkeiten von großer Wirkung zu verwöhnen – das ist zum Beispiel ein Spaziergang mit meiner Lieblingsmusik oder ein neuer Stift, von dem ich noch herausfinden muss, wozu ich den eigentlich gebrauche. Aus dem Buch „Wonderbook“ von Jeff Vandermeer habe ich eine Arbeitsweise für Manuskripte übernommen: Eine Seite der Kladde beschriften, die andere für Notizen, Verbesserungen oder Skizzen freilassen. So lässt sich der Schreibprozess leichter auch auf Papier nachverfolgen, was wiederum Raum für neue Ideen lässt.
Cameron schlug vor, eine Collage vom eigenen Idealbild des Selbst als Künstler*in zu fertigen. Ich tat mich mit der Aufgabe schwer, aber Jess half mir und machte mir ein großartiges Geschenk: Sie fertigte die Collage für mich, was mich sehr glücklich macht. Wann immer ich sie an meiner Wand betrachte, bin ich von ihrem Blick auf meine Person und meine künstlerische Produktion gerührt, beflügelt und ein stückweit stärker als davor.
Jess: Ich empfinde Camerons Handlungsplan als eine der hilfreichsten Methoden zum Erreichen von Zielen. Man nimmt sich ein Herzensprojekt vor und schreibt auf, was man hierfür in fünf, drei, einem Jahr, in einem Monat, einer Woche und jetzt tun kann, um es zu realisieren. Ich habe das bisher für ein Kinderbuch, ein Hörspiel und meine Abschlussarbeit gemacht und bin jeweils im Zeitplan geblieben. Zu sehen, wie groß der Unterschied zwischen „Jetzt“ und „in fünf Jahren“ ist, tut gut. Es nimmt dem ganzen Vorhaben die Schwere, denn zu erkennen, dass sich ein Projekt in fünf Jahren vermutlich etabliert hat oder man die Sache eigentlich schon vergessen hat, ist erleichternd. Unter „Jetzt“ steht dann so etwas wie „Ich erstelle diesen Handlungsplan“ oder „Ich kaufe mir einen neuen Bleistift.“ Das ist so niedrigschwellig, da will man dann auch sofort loslegen.
Der Autor Austin Kleon hat in seinem Buch „Steal like an Artist“ über den Künstlerinnen-Stammbaum geschrieben. Man solle sich aus den Menschen, deren Kunst man sich nahe fühlt, seinen eigenen kreativen Stammbaum erstellen. Bei mir stehen da auf der Seite der Verstorbenen zum Beispiel Shirley Jackson, Lucy Maud Montgomery, Peter Lustig und meine Oma. Es tut gut, mich als Person zu betrachten, die künstlerisch von ihnen abstammt. Denn ihre Arbeiten wirken in mir nach und wenn man genau hinsieht, dann erkennt man das auch. Neben mir steht ihr, Ina und Mort, und noch andere Kreative, die mir etwas bedeuten.
Ansonsten ziehe ich viel Kraft für mein Tun aus Begegnungen mit Menschen, die ich für ihre Arbeit bewundere. Als ich zu Sibylle Berg sagte, ich würde gerne das, was sie als Live-Performance zu ihrem Buch „GRM“ tat, auch mal tun will, antwortete sie schlicht „Mach das doch!“ Wenn ich daran zurückdenke, dann sage ich zu mir: Ja, warum eigentlich nicht?
Meine Oma, die von Beruf Musikerin war, sagte immer, man muss die Dinge einfach ausprobieren und wenn es nichts für einen ist, dann lässt man es halt wieder. Sie hat mir mit dieser Einstellung vorgelebt, was es heißt, selbstständig kreativ tätig zu sein. Man hört niemals damit auf und hat dabei auch eine Menge Spaß, wenn man sich gestattet, wirklich neugierig zu sein.
In diesem Beitrag möchte ich dir erzählen, wie meine Buchcover in Zusammenarbeit mit dem Ylva Verlag entstehen und warum das für mich immer wieder eine besondere Zeit ist.
Wie gehst du vor, wenn du einen Buchladen aufsuchst, um dir ein neues Buch zu kaufen oder im Internet stöberst? Wovon lässt du dich leiten? Was genau an einem Cover berührt dich und spricht dich an?
Diese drei Bücher habe ich mir zuletzt gekauft, weil die Cover mich gepackt haben.
Das Eintrittstor in die Geschichte
Wenn ich nicht ganz gezielt nach der Neuerscheinung meiner Lieblingsautorin oder meines Lieblingsautors schaue, lasse ich meinen Blick über die Cover der Bücher schweifen. Was mich immer als erstes einnimmt, ist die Farbe eines Einbandes beziehungsweise eines Bildes. Suche ich zum Beispiel nach etwas gefühlvollem, sprechen mich helle Farben an und ist mir nach etwas nachdenklicherem, reagiere ich vor allem auf dunklere Farben. Ein Cover sollte somit vor allem die Atmosphäre eines Buches wiedergeben, um die eigene Gefühlswelt anzusprechen.
Für mich ist das Buchcover der Eingang, zu der Welt, die sich dahinter verbirgt.
Stell dir vor, wir stehen an einem Tor vor einem umzäunten Park. Das Tor ist aus Holz, die hellblaue Farbe ist abgesplittert, über seinen beiden Pfählen rankt Efeu und die Wurzeln eines Baumes haben sich durch den Zaun gedrückt. Ein Gewitter zieht auf und dicke, graue Wolken wandern über unseren Köpfen am Himmel entlang. Würden wir durch das Tor gehen, würde ich dahinter hohe Bäume erwarten, wilde Büsche, Krähen in den Ästen und unbeschnittene Rosensträucher. Und du?
Am nächsten Tag besuchen wir einen anderen Park, er ist ebenfalls umzäunt. Der goldenen Türknauf des schwarzen Eisentores glänzt in der Sonne. Der Himmel strahlt in hellem Blau. Vor den Pfählen des Tores befinden sich zwei Steinkübel mit gelben Rosen, die an Stöcken hochgebunden in die Höhe ragen. Wenn wir hindurchgehen, hätte ich die Erwartung, dass wir weite Flächen mit jungen Bäumen, kurzgeschnittenem Gras und gepflegten Blumenbeeten sehen würden. Du auch?
Genauso, wie dieser erste Eindruck des Eingangsbereiches bestimmte Erwartungen an das „Dahinter“ schürt, tut dies auch ein Cover.
Farben, Motiv, Details und Titel – Ein Zusammenspiel
Wenn ich mich von den Farben eines Buches angezogen fühle, lasse ich die weiteren Details auf dem Bild auf mich wirken, danach lese ich den Titel. Gefällt er mir, betrachte ich das Bild noch mal genauer. Denn genauso, wie der Titel mir bereits etwas über den Inhalt verrät, finden sich in dem Bild vielleicht weitere Informationen zu der Geschichte.
Betrachten wir gemeinsam die Cover der letzten drei Bücher, die ich mir gekauft habe. Der Titel „Die Zutaten zum Glück“ hätte zunächst eine Anspielung auf alle möglichen Zutaten sein können, jedoch geben die Bild-Details einen weiteren Hinweis auf die Geschichte. Tatsächlich ist die Hauptfigur eine leidenschaftliche Köchin, allerdings wird sie vor allem für ihre Kuchen von allen umschwärmt.
In der Geschichte „Weihnachten auf Samtpfoten“ taucht neben der weiblichen Hauptrolle eine weitere auf: eine Katze.
Das Cover von „Meine Freundin Angst“ ist künstlerisch und liebevoll gemalt. Meera Lee Patel hat sowohl das Cover, wie auch das gesamte Buch, selbst gestaltet. Das Zusammenspiel der dunklen und hellen Farben unterstützt die Wortkombination ‚Angst und Freundin‘ (negativ/positiv) des Titels.
Die Essenz der Geschichte
Du kennst diese Situationen vielleicht auch, wenn du einen vielfältigen Inhalt in nur wenigen Worten wiedergeben sollst, zum Beispiel deinen Lebenslauf. Du überlegst dir vielleicht als erstes, wem du das Ganze erzählen wirst. Du fragst dich, was denjenigen besonders interessieren könnte und daraus ergibt sich die Frage, was ist die Essenz des Ganzen?
Ähnlich gehen ich und mein Verlag vor, wenn wir ein Cover planen und gestalten. Es geht um die Atmosphäre und den Kerninhalt des Buches, um dir als Leser*in einen ersten Eindruck zu geben, worauf du dich freuen kannst.
Das Grundgefühl in einem Bild
Wenn ich eine Geschichte schreibe, begleitet mich durchgängig ein bestimmtes Gefühl, welches ich am besten in Farbtönen wiedergegen kann. In meinem Roman „Letzte Zutat Liebe“ sind die beiden Hauptfiguren eine Köchin und eine Astronautin. Es geht um Düfte und Aromen, aber auch um die intensiven Farben unseres schönen Planeten beim Blick aus dem Weltall. Unnatürliche oder zu grelle Farben hätten in diesem Fall nicht zur Atmosphäre der Geschichte gepasst.
Der Ylva Verlag bezieht mich als Autorin in die Covergestaltung sehr stark mit ein. Vorab gibt es einen Fragebogen, der ihnen und dem Grafiker bzw. der Grafikerin helfen soll, meine Wünsche zu verstehen. Dort führe ich drei Beispiel-Cover von anderen Autorinnen aus dem gleichen Genre auf, um die Atmosphäre wiederzugeben, die in der Geschichte bestimmend ist. Hier geht es vor allem wieder um die Farbgebung, aber auch um die Anordnung auf dem Cover. Als weiteren Punkt zähle ich wichtige Motive auf, die eventuell zu sehen sein sollten. Die Verlegerin bespricht diese Ideen mit dem bzw. der Coverdesigner*in und sie lassen ihre gesammelten Erfahrungen mit hineinfließen.
Das Cover von „Letzte Zutat Liebe“ zu sehen, war für mich sehr berührend, denn ich hatte es mir in dem Stil erhofft und Dank der engen Zusammenarbeit im Vorfeld, gab es dieses Ergebnis. Ich finde, der Astronautenhelm und die Kochutensilien verraten schon einiges über die Hauptfiguren und die Themen. Die ungewöhnliche Kombination auf der Arbeitsplatte macht neugierig.
Es ist für mich immer ein sehr bewegender Moment, wenn das Cover fertig ist, denn ich weiß, es wird das Erste sein, was du zu sehen bekommst. Nach bis zu zwei Jahren Arbeit an der Geschichte, kann ich dir endlich das Tor zeigen, durch das es hindurch geht, in die Welt, die ich dir so gerne zeigen möchte.
Mein absolutes Lieblingscover ist übrigens dieses:
Ich mag Bilder von Händen sehr gerne und ich liebe Filme, deshalb finde ich diese Kombination besonders toll. Zudem ist „Liebe à la Hollywood“ auch eine meiner Lieblingsgeschichten geworden. Das Cover hat also gehalten, was es versprochen hat.
Hast du ein Lieblingscover? Findest du meine Herangehensweise und die vom Ylva Verlag gut, oder gibt es noch andere Dinge, die du dir auf einem Cover wünschen würdest? Ich bin sehr neugierig, was du darüber denkst und würde mich freuen, wenn du mir etwas dazu schreibst (inaspostkasten@ina-steg.de).
Alles begann im Herbst 2017 mit einem Tweet auf Twitter. Die Bedeutung von Tieren in Märchen und Fabeln hat mich schon immer auf tiefe Weise berührt. Als ich längere Zeit gedanklich feststeckte, suchte ich einen Weg, die Situation anders betrachten zu können und plötzlich saß da der Fuchs am Fluss und stellte ihm Fragen. Kurz darauf landete die Krähe am Ufer. Sie gab dem Fuchs Antworten und immer öfter gingen sie ein Stück des Weges gemeinsam. Ich bekam wunderschöne Rückmeldungen zu den Tweets und wollte gerne mehr daraus machen.
Anna Thur und ich arbeiten schon seit vielen Jahren immer
mal wieder zusammen an kleinen Projekten. Sie hatte erkannt, dass sich der
Fuchs im Laufe der Zeit auf eine Reise begeben hatte. Sie wollte die einzelnen
Momente verbinden.
Anna Thur: Der Fuchs tauchte immer wieder auf Twitter auf. Ich bemerkte, dass es kleine Teile von einem großen Ganzen sind, das musste einfach zusammengeführt werden.
Ihr Ansporn, ein Buch daraus zu machen, ermutigte mich, eine Idee weiterzuverfolgen, die mich in Bezug auf den Fuchs seit Beginn nicht mehr losgelassen hatte. Ich wollte ihn zeichnen lassen. Ich mag die Art der Illustrationen von Madita Sternberg sehr. Sie hat eine Hingabe für Details und Gespür für die Atmosphäre eines Momentes.
Madita Sternberg:Nach den ersten Skizzen in unterschiedlichen Stilen war schnell klar, dass der Fuchs und die Krähe ganz besonders aussehen mussten. Für mich wirkten die Texte immer wie eine Art Traum, und so fand ich es passend, dass auch die Bilder ein wenig nach einem Traum aussehen sollten.
Ich unterteilte das Buch in vier Kapitel, Madita zeichnete dazu und Anna gab den kleinen Momenten einen neuen Rhythmus und brachte alles zusammen in Buchform. Ich freue mich sehr, dass euch der Fuchs nun mit auf seine Reise nehmen kann.
Hiergeht es zum Buch, darin findet ihr übrigens auch das ganze Gespräch zu unserem Projekt. Ich wünsche euch viel Freude damit.
Ihr Lieben, ich entwickle gerade ein Szenengerüst zur Vorbereitung auf das Schreiben. Ich habe gemerkt, dass ich mich beim reinen schreiben der Szene immer auf zu vieles konzentrieren musste. Das war nicht nur anstrengend, sondern hat den Schreibfluss oft unterbrochen. Also habe ich ein Szenengerüst entwickelt, um vorher schon einiges festzulegen. Bisher habe ich folgenden Aufbau:
Aus welcher
Situation kommt die Figur?
Welche
Emotionen hat die Hauptfigur in der Szene?
Welche Stimmung
herrscht ggf. bei den anderen Figuren?
Ist es eine
zufällige oder geplante Situation in dieser Szene?
Wo findet die
Szene statt?
Welche
Atmosphäre herrscht dort und warum?
Welche
Komponenten könnten die Atmosphäre und die Emotionen unterstreichen? (Hier auch
an extreme Gegensätze denken)
Wetter:
Lichtverhältnisse:
Räumlichkeiten:
Einengende
oder weite Kulisse:
Wonach riecht
es?
Was für
Geräusche gibt es?
Welche Farben
dominieren?
Was löst die
Umgebung bei der Figur aus?
Was wird die
Figur erfahren, was sie vorher nicht wusste?
Welche Szene
folgt?
Wird es eine
zufällige oder geplante Situation?
Wie geht es der
Figur am Ende der Szene?
Was hat sie
Neues erfahren?
Was hat sich in
ihrer inneren Einstellung verändert?
Schreibt mir, ob ihr mit ähnlichen Instrumenten arbeitet und/oder was ihr bei diesem Gerüst noch ergänzen würdet. Und meine lieben Leserinnen und Leser: Wodurch wird für euch eine Szene lebendig? An was erinnert ihr euch hinterher besonders? Ich freue mich auf eure Mails:
Eine Geschichte entsteht manchmal nur durch eine Gegebenheit, durch einen bestimmten Moment. So war es auch mit „Letzte Zutat Liebe“.
Ich mag die Einkaufszettel von anderen. Wenn ich einen im Einkaufswagen finde, schaue ich ihn mir an, betrachte die Art des Papiers, fahre die Handschrift mit der Fingerspitze entlang und studiere die Liste darauf. Ich stelle mir vor, wie die Verfasserin oder der Verfasser sie geschrieben hat und wofür. Manche Zettel sind sehr schlicht gehalten, einige detailliert, fast alle sind mit Kugelschreiber verfasst und oft auf kleinen weißen Notizzetteln aus einem Block. Ich lege die Zettel immer zurück, vielleicht schaut sie sich jemand anderes ja genauso gerne an wie ich.
Wenn ich spazieren gehen, schaue ich meist auf den Boden, auch wenn ich die Bäume und die Wolken liebe, halte ich gern Ausschau nach Steinen. Im März 2016 ging ich durch einen kleinen Park in der Nähe meiner Wohnung und sah etwas Weißes aufblitzen. Es war ein Zettel. Ich betrachtete ihn genauer, es war ein Einkaufszettel. Dafür, dass er auf der Erde gelegen hatte, war er kaum verschmutzt. Ich setzte mich in die Sonne und betrachtete ihn lange. Ich fragte mich, ob ihm jemand aus der Tasche gefallen war? Ich fand den Fundort ungewöhnlich, im Park zückt man selten seine Geldbörse. Der Knick in der Mitte war stark ausgeprägt, so als habe das Papier etwas länger in dieser Position verharrt. Vielleicht hatte ihn jemand eine Zeit lang in der Hosentasche?
Es war schön, was dieser Zettel alles in mir auslöste und zu welchen Fragen er mich verleitete. Die Zutaten schienen für ein umfangreiches Gericht zu sein, vielleicht sogar geplant für einen Besuch oder eine kleine Feier. Mir gefiel die Handschrift, besonders das große „K“ und das „L“, sie waren wie kleine Kunstwerke. Ich mochte den „Filzkleber“, der inmitten der Lebensmittel auftauchte, er tanzte so herrlich aus der Reihe, zudem schien er, so wie das Wort „Bananen“, von jemand anderem dazu geschrieben worden zu sein.
Ich behielt den Zettel und in den darauffolgenden Tagen schweiften meine Gedanken immer wieder ab. Hätte ich die Möglichkeit gehabt, der Verfasserin oder dem Verfasser ein paar Fragen zu stellen, hätte ich sie gerne genutzt. Wer weiß, was für eine Geschichte ich zu diesem Zettel erfahren hätte? Was mir persönlich nicht gelang, ließ ich meine damalige Hauptfigur, die neugierige Astronautin Laura erleben. Sie fand einen Zettel, folgte seiner Spur und traf auf die Köchin June. So entstand nach und nach ihre gemeinsame Geschichte. Was scheinbare Kleinigkeiten auslösen können, fasziniert mich immer wieder, ich denke, dass es sich lohnt, ihnen Aufmerksamkeit zu schenken.
Sechs Monate lang durfte ich mich auf ein Schreibabenteuer einlassen, was in mir tiefe Spuren hinterlassen hat. Es hat mich zum Nachdenken gebracht. Nicht nur über das Schreiben selbst, sondern auch, wie ich anderen Menschen begegne.
Ich folge Jolene Walker seit langer Zeit auf Twitter. Ich mag ihre Tweets über starke Gefühle, wie Sehnsucht, Leidenschaft und Liebe, aber auch über Zweifel und Trauer. Jolene hat den Mut diese Empfindungen klar zu benennen. Dieser Mut findet sich auch in ihren Geschichten. Ihre Figuren stecken oft in einem Strudel aus Gefühlen, sind in ihren Worten und Gesten aber sehr klar und treffen einen damit mitten ins Herz.
Ich arbeitete im letzten Jahr an einer Geschichte, deren Thema mir sehr wichtig ist. Ich habe es schon ein paar Mal erleben dürfen, Menschen zu treffen, die ich sehr mochte, aber nicht klar benennen konnte, in welche konkrete Richtung das Ganze ging. Bevor ich oder der beziehungsweise die andere den nächsten Schritt machte, trennten sich unsere Wege. Ich habe mich gefragt, wie es gelaufen wäre, wenn man den Mut gehabt hätte, sich nur für einen einzigen Abend zu treffen, mit der Übereinkunft, sich gegenseitig Fragen zu stellen und diese ehrlich zu beantworten. Ich fühlte mich zu Jolenes Art des Schreibens hingezogen. Vielleicht spürte ich auch, dass es eine Art war, die mir zu diesem Zeitpunkt sehr fehlte. Denn die beiden Frauen, Jill und Catrin, blieben trotz meines Vorhabens, sie mutig sein zu lassen, in meiner Geschichte eher oberflächlich. Ich fragte Jolene, ob sie mit mir an der Geschichte arbeiten wolle. Sie sagte zu. Ihre Idee, den Text von Beginn an gemeinsam zu bearbeiten war genau richtig. Wir tauschten uns über die Hintergründe von Jill und Catrin aus und ließen ihr Treffen in einem etwas heruntergekommenen, aber gemütlichen italienischen Restaurant stattfinden. Wir legten weder den Verlauf, noch das Ende der Geschichte fest. Ich machte den Anfang und als ich den Text abgeschickt hatte, erlebte ich etwas sehr Schönes. Mich packte Nervosität und Vorfreude zugleich. Ich, beziehungsweise Catrin, saß in dem Restaurant und wartete.
Wenn man alleine für seine Figuren und den Verlauf der Geschichte verantwortlich ist, weiß man in welche Richtung man will. Man schreibt und webt die Fäden unaufhörlich weiter. Doch unsere Art der Zusammenarbeit zwang mich, abzuwarten was passieren würde. Und so, wie es im Leben auch oft ist, malte ich mir dennoch aus, wie die Begegnung ablaufen könnte. Als Jolene mir den nächsten Abschnitt schickte, traf Catrin auf eine charmante, aber auch vorsichtige Jill, von der ich insgeheim gehofft hatte, sie wäre offener. Ich hatte mir gewünscht, dass Jill das Ruder übernehmen würde und Catrin einfach auf sie reagieren müsse. Zwischen ihnen entstand eine intime und sehnsuchtsvolle Spannung. Keine von beiden wollte diese durch falsche Worte oder Gesten kaputt machen. Mir wurde klar, dass ich die beiden durch meine Vorüberlegungen nicht mehr in eine bestimmte Richtung drängen wollte. Ich verweilte in der jeweiligen Situation, wenn ich den Text abschickte und ließ mich darauf ein, erst zu reagieren, wenn die neue Entwicklung vor mir lag. Ich wusste nie, was mich erwartete und konnte mich nicht darauf vorbereiten, was der neue Abschnitt in mir auslösen würde. Das machte das Schreiben zu einem sehr intensiven Erlebnis.
Diese Erfahrung hat mich verändert. Ich will seitdem anderen Menschen bewusster begegnen. Ich versuche, mir nicht ständig vorzustellen, wie ein Treffen ablaufen könnte oder wünsche mir bestimmte Reaktionen herbei. Ich begebe mich in die Situation und lasse sie mit dem anderen entstehen. Ich spüre, dass diese Herangehensweise mein Schreiben ebenfalls beeinflusst. Ich lasse die Figuren aufeinandertreffen, ohne dass ich das Ende der Szene festlege. Mich durchströmt neuer Mut, die Kontrolle abzugeben und mich ganz und gar auf die Gefühle einzulassen, die im Wechselspiel Moment für Moment entstehen. Und das alles, weil Jolene mir ein „Ja“ geschenkt hat. Ich werde diese Zeit nie vergessen.
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Von der Suche nach einem Romanthema, einer Recherche, die fast in einem Papierkeller geendet hätte und einer Hauptfigur, die einen realen Helden zum Vorbild hat
Nachdem „Alles nur Kulisse“ veröffentlicht war, begann ich mir Gedanken über eine neue Geschichte zu machen, die das Potenzial für einen Roman haben könnte. Da mich die Figuren und die Thematik lange begleitet hatten, verbrachte ich viele Wochen damit zu überlegen, womit ich mich nun intensiv beschäftigen wollte. Ich wusste, dass es etwas sein musste, was meine Neugierde wecken würde, um bei den Recherchen nicht zu schnell aufzugeben, vor allem wenn es mal knifflig werden sollte und ich wollte ein spannendes Thema auswählen, das hoffentlich auch den Leserinnen und Lesern interessante Details vermitteln würde.
Eines Tages betrachtete ich meine Film- und Büchersammlung und ließ die Erinnerungen der Geschichten auf mich wirken. Robin Hoods Abenteuer lösten jedes Mal vielseitige Gefühle bei mir aus. Zum einen hatte er ein Leben außerhalb der gesellschaftlichen Norm gewählt und blieb doch den Menschen zugewandt. Mehr noch: da ihm selbst große Ungerechtigkeit widerfahren war, tat er alles, um andere davor zu bewahren. Pfiffig, charmant und gewitzt bestahl er die Reichen und verteilte das Geld an die, die es brauchten. Mich berührte der Wille, etwas verändern zu wollen und der Mut, sich gegen die Mächtigen durchzusetzen. Robin machte zudem keinen Unterschied, ob er nur einem Einzelnen helfen konnte oder Vielen, er handelte in dem Bewusstsein, dass jede seiner Gesten, jede kleine Veränderung, wichtig war.
Was würde ich erfahren, wenn ich mich auf die Spuren von Robin Hood begab? Und was für eine Geschichte könnte entstehen, wenn ich Robin in unsere Zeit hineinschreiben würde: als lesbische Frau. Diese beiden Fragen ließen mich nicht mehr los und ich begann zu recherchieren. In der Bibliothek entdeckte ich unter anderem das Buch „Helden gegen das Gesetz“ von Helmut Höfling.
Höfling schrieb in einem witzigen und intensiven Erzählton, der mich später beim Schreiben immer wieder anspornte. Die vielen Fakten, die er in Archiven und alten Schriften recherchiert hatte, brachten mir die Räuberhelden näher, die bis heute den Stoff für Geschichten liefern – auch zur Legende von Robin Hood. Denn dass Robin wirklich existiert hat, konnte bisher nicht bewiesen werden. Auch wenn in der Schatzkammerrolle von Yorkshire für das Jahr 1230 ein gewisser „Robertus Hood fugitivus“ erwähnt wird und Robin Hood um 1400 in Chroniken als historische Gestalt auftaucht, so scheint er doch eine Schöpfung der Volksphantasie zu sein. Diese stützt sich auf die Zeit um 1066, als sich sächsische Bauern und Edelleute gegen die normannischen Eroberer zu Wehr setzen mussten und einige durch ihren Mut hervorstachen.
Doch es gibt einen Mann, der als reales Urbild der literarischen Räuberhauptmänner gesehen werden kann. Am 1. April 1734 wurde Angelus Josephus Duca in der italienischen Provinz Salerno geboren. Er hätte ein Leben als Bergbauer führen können, doch durch einen Streit mit dem Feldhüter des Herzogs, zog er dessen Zorn auf sich. Angelo floh in die Berge und kämpfte von da an für die Unterdrückten, wobei er rohe Gewalt verabscheute und stets eine bestimmende Höflichkeit an den Tag legte. Tausende wählten damals das Leben als Räuber, doch durch seine besondere Art wurde Angelo für die Bevölkerung zum Helden.
Angelos Geschichte inspirierte den deutschen Schriftsteller Christian August Vulpius und er erschuf um 1799 den Räuberhauptmann Rinaldo Rinaldini – diese Figur gibt es bis heute, in neuen Geschichten, Filmen und Theaterstücken. Viele ihrer Charakterzüge wiederum finden sich auch bei Robin Hood. Ich bin sehr dankbar, wie sich manchmal im Leben alles zusammenfügt. Während ich meine Recherchen kurz unterbrach, wurde das vergilbte Buch von Höfling von 1977 aus dem Bestand der Bibliothek ausgesondert. Hätte ich dort später mit der Recherche begonnen, wer weiß, auf welche Quellen ich stattdessen gestoßen wäre und welcher Erzählton mich beim Schreiben begleitet hätte. Das Angebot der Bibliothekarin, mit mir in den Container des Papierkellers zu klettern um das Buch zu suchen, musste ich zum Glück nicht annehmen, da ich noch eine Ausgabe im Internet in einem Antiquariat fand.
Während der Entwicklung der Geschichte stellte ich mir immer wieder die Frage: Wie würde es meiner Robin in unserer heutigen Gesellschaft gehen, wenn sie sich für andere einsetzte und ihre Interessen hinten anstellte?
Meine Heldin, Robin, wurde mit jeder Zeile, die ich über die alten Räuber las, lebendiger. Was würde ihr in unserer heutigen Gesellschaft widerfahren, wenn sie sich engagierte und für andere einsetzte? Gleichzeitig begann ich nach einer interessanten Frau zu suchen, in die Robin sich verlieben würde. Robin musste oft gegen das Gesetz handeln, wie würde sie sich wohl verändern, wenn ihr Herz plötzlich von einer Frau erobert wird, die voll und ganz hinter diesen Regeln steht? Ich vertiefte mich in die Kriminaltechnik und war fasziniert von der komplexen Arbeit der Techniker und Wissenschaftler. Indem sie die feinsten Spuren sichtbar machen, die kleinsten Details analysieren und diese Indizien zusammenfügen, helfen sie Fälle jeglicher Art aufzuklären. Ich sah eine neugierige Frau vor mir, mit viel Energie und dem Einsatz für das Gute: Hannas und Robins Geschichte konnte beginnen. Ich freue mich, sie endlich mit euch teilen zu dürfen und hoffe, ihr habt viel Vergnügen, die beiden bei ihrer Suche nach Gerechtigkeit und Liebe zu begleiten.
Genau vor einem Jahr, im November 2014, schrieben wir die ersten Sätze unserer gemeinsamen Geschichte und starteten damit ein Schreibprojekt, das uns viele Monate begleitete.
Alles begann mit der Frage von Ina an Anna: „Willst Du mit mir schreiben?“
Nun haben wir in einem Gespräch ein Resümee aus den Erfahrungen gezogen, an denen wir andere gerne teilhaben lassen möchten.
Ina: Immer mal, wenn ich abgedruckte Briefwechsel zwischen Künstlern las, war ich fasziniert davon, wie diese durch ihren Austausch inspiriert wurden, worüber sie diskutierten und stritten und wie sich ihre Art zu Schreiben im Laufe der Zeit veränderte. Anna Thur kannte ich seit einiger Zeit über Twitter. Ich hatte schon Geschichten von ihr gelesen und redigiert und immer wieder merkte ich danach, dass etwas ihres Erzähltons in mir nachschwang. Ich stellte mir die Frage, ob es klappen könnte, gemeinsam eine Geschichte zu schreiben. Also fragte ich sie.
Anna: Wenn ich an die Situation denke, muss ich heute noch schmunzeln. Auf der einen Seite hatte ich ein supergutes Gefühl bei Ina, aber zu dem Zeitpunkt war sie ohne ein Gesicht und mit dem Namen Yeeaaaahhrr unterwegs. Das machte es ‚spannend‘ …
Ina: Ach ja, das war noch meine Findungsphase auf Twitter. Anna hat später mal gesagt, dass sie ein gutes Bauchgefühl gehabt hätte und ich finde es total schön, dass sie dem gefolgt ist. Mir hat es auch wieder gezeigt, dass man trotz der weitverbreiteten Anonymität in den Sozialen Medien neue Leute kennenlernen kann, man braucht halt etwas Mut und Geduld.
Was gab es für Überlegungen und wer schrieb den Anfang?
Anna: Nach dem Beschluss, dass wir zusammen schreiben, kam erst mal die große Frage: Wie jetzt eigentlich? Wie geht das, was brauchen wir? Wir haben uns öfter geschrieben, uns herangetastet und wussten trotzdem erst nicht so richtig, wie wir anfangen sollten.
Ina: Wir stellten zunächst einige Regeln auf, zum Beispiel, dass jede bei ihrem Part minimal einen Absatz, und maximal eine Seite schreiben sollte.
Anna: In einem Worddokument haben wir uns ausgetauscht, Fragen formuliert, Dinge, wie zum Beispiel die Regeln zur Abschnittslänge festgehalten. Ich hab dann einfach folgende Fakten in den Raum geworfen: Renate, Hauptbahnhof und Hamburg, weil ich Hamburg so mag und Ina hat den Anfang geschrieben, da wir unbedingt loslegen wollten.
Ina: Um ein Ziel vor Augen zu haben, setzten wir uns als Schlusstermin Ende Februar 2015. Das Schreiben machte aber solchen Spaß, dass wir die Deadline verlängerten. Es wurde Sommer.
Was passierte während des Schreibens? Was war schwierig? Was lief gut?
Ina: Ich weiß noch, dass ich es zu Beginn sehr schwierig fand, von meinem eigenen Plan für die Geschichte wegzukommen. Ich hatte einen starken Fokus auf die Wetten gelegt und hielt diese für den roten Faden der Geschichte, somit wollte ich den auch immer wieder aufgreifen. Schon nach einigen Absätzen lief Renate mir jedoch regelrecht davon und wurde in ein ganz neues Abenteuer verwickelt.
Anna: Ich merkte auch, dass wir in unterschiedliche Richtungen strebten. Fand das aber sehr spannend, weil wir ja am Anfang extra beschlossen hatten, dass wir das offen halten. Schwieriger fand ich, in einen Schreibrhythmus reinzukommen, der Text wird deshalb auch erst später flüssiger und es wurde immer einfacher weiterzuschreiben.
Ina: Für mich war es gut, eine Deadline für den Schluss zu haben. Denn so habe ich mich immer wieder gedanklich mit dem Text beschäftigt. Genauso hilfreich war es jedoch, dass wir uns für die einzelnen Abschnitte die Zeit nehmen konnten, die wir brauchten. Ich schrieb sofort weiter, wenn ich direkt in die Szene eintauchen konnte. Wenn ich jedoch die Verantwortung hatte einen Ortswechsel durchzuführen oder eine neue Figur hinzugekommen war, brauchte ich länger.
Anna: Stimmt, so eine Deadline hat echt Vorteile, genauso, wie den Umfang der Abschnitte einzugrenzen. Das nächste Mal würde ich den dramaturgischen Rahmen enger stecken, auch wenn es einschränkt. Dadurch wird die Nacharbeit reduziert und die ist letztlich unsere große Baustelle geworden …
Ina: Uns fehlte ja zu Beginn die gemeinsame Fokussierung auf eine bestimmte Message. Zudem hatten wir nicht festgelegt, ob und wie sich Renate durch die neuen Menschen um sich herum verändert. Das hat sich erst in den letzten beiden Abschnitten herauskristallisiert. Wir müssten nun die ganze Geschichte aufarbeiten, mit der Endaussage im Kopf.
Was geschah, als die Geschichte zu Ende war?
Anna: Zuerst wollte ich gar nicht mehr aufhören, weil die Zusammenarbeit solchen Spaß gemacht hat. Aber wir waren an einen Punkt gekommen, an dem wir etwas an dem Ablauf der Zusammenarbeit hätten verändern müssen. Ohne gemeinsame Abstimmung hätten wir nicht mehr weiterschreiben können, vor allem nicht in dieser Figurenkonstellation. Wir vereinbarten, dass diejenige das Ende schreiben sollte, die es in dem Moment für die Figur am passendsten hielt.
Ina: Ohne es besprochen zu haben, wollten wir beide, dass es für Renate gut ausgeht. Ich hoffe, das ist uns gelungen. Ich würde so ein Schreibprojekt auf jeden Fall wieder machen, allerdings mit konkreteren Überlegungen zu den Hauptfiguren und der Botschaft, so wie Anna es auch schon angesprochen hat. Momentan haben wir leider nicht die Zeit, die Geschichte komplett zu überarbeiten. Wir wollten sie jedoch gern in irgendeiner Form mit anderen teilen und da kam uns die Idee mit dem schrittweise veröffentlichen auf unseren Blogs.
Anna: Und die positiven Reaktionen auf das Veröffentlichen auf unseren Blogs haben uns gezeigt, dass es eine gute Entscheidung war. Obwohl die Geschichte natürlich an der einen oder anderen Stelle holpert und wir ein paar inhaltliche Unstimmigkeiten drin haben, mögen die Leute es, die Geschichte zu lesen und mehr von unserer Arbeit zu erfahren.
Ina: Ich habe bei dieser Art der Zusammenarbeit viel gelernt. Zum Beispiel habe ich mich sehr intensiv auf die Figur eingelassen, weil ich nachempfinden wollte, warum Anna sie nun in dieser Weise handeln lässt oder warum sie plötzlich einen neuen Weg für sie vorgesehen hat. Es war auch mal ganz interessant, nicht komplett allein für die Figuren verantwortlich zu sein, sondern Anna indirekt sagen zu können: so, jetzt übernimm du bitte.
Anna: Das ging mir auch so und da hatten wir wirklich Glück miteinander, dass wir uns vertrauen konnten und unsere Zusammenarbeit in diesem Jahr auch über das Projekt hinaus so gut gewachsen ist. Das ist etwas Besonderes. Danke Dir Ina dafür und für „Willst Du mit mir schreiben?“.
Ina: Das kann ich nur zurückgeben. Na dann, auf ein Neues?
Anna: Ina, wie wäre es, wenn Du das „?“ am Ende Deines letzten Satzes in „!“ änderst?
„Willst Du mit mir schreiben?“ – Mit der Frage fing es an und wir, Anna Thur und ich, haben uns in das Abenteuer gestürzt. In 11 Schritten, zwischen denen manchmal Stunden, Tage oder Wochen lagen, haben wir zusammen eine Geschichte geschrieben. Hier ist sie – uncut, unverfälscht:
Der Regen durchweichte ihre neuen Schuhe. Natürlich tat er das. Wer kaufte sich schon High Heels im Herbst? Renate schüttelte über ihr heutiges Verhalten den Kopf.
Sie betrachtete ihre frisch getönten Haare im Schaufenster und die Tüten, voll mit Klamotten, die ihre Arme schmerzen ließen. Sie hätte sich nicht auf die Wette mit Michael einlassen sollen. Es hatte ja ganz amüsant geklungen, jeden Tag etwas völlig neues auszuprobieren, aber jetzt gerade fühlte sie sich unwohl. Nein, nein, so ein Unsinn, dachte sie. Sie schaute sich um, dann eilte sie auf die Bahnhofsmission zu.
„Entschuldigen Sie, kann ich hier irgendwo eine Kleiderspende abgeben?“
Als sie das Gebäude wieder verließ, summte ihr Handy. Michael, natürlich. Ihr Sohn war zehn Mal neugieriger als ihre Tochter. Sie hörte ihn am andere Ende der Leitung sagen: „Hallo Mama. Und wie ist es gelaufen?“
Fortsetzung Nr. 1 (Anna):
„Wie soll es schon gehen, wenn man eine Wette verliert“, seufzte Renate. „Und das bei dem Wetter.“ Ihre Stimme klang nörgelig und trotzdem war herauszuhören, dass sie, egal was sie versprochen hatte, es immer halten würde. Selbst wenn es darum ging eine bescheuerte, verlorene Wette einzulösen.
Das hörte selbst der Mann heraus, der sie interessiert beobachtet hatte, wie sie im strömenden Regen auf die Bahnhofsmission zu stolziert und ohne Tüten wieder herausgekommen war. Alleine das war schon ungewöhnlich. Denn es gab nicht viele Frauen mit ihrem Aussehen, die sich hierher trauten.
Aber was er sich wirklich die ganze Zeit fragte war: „Warum hatte sie High Heels dabei an?“ Er beschloss, ihr zu folgen. Unauffällig, so lange es ging. Für den Fall, dass sie ihn doch bemerken würde, holte er vorsorglich seinen Presseausweis heraus und versuchte ihn sich an der Brusttasche seiner Jacke anzuheften, während er ihr nachging.
Es war gar nicht so einfach, das richtige Tempo zu halten, ihr nicht zu nah zu kommen und sie trotzdem nicht zu verlieren, während ihn die kleine biestige Nadel des Ausweises stach. Er fluchte darüber, während sich schon in seinem Kopf die Schlagzeile zu der schönen Unbekannten formte:
Fortsetzung Nr. 2(Ina): „Wette gegen Mid-Life-Crisis“
Er grinste über seine geniale Idee und stolperte dabei fast über einen Hund, der an einem seiner Beine entlang streifte. Seine Besitzerin zog den Hund weg. „Passen sie doch auf!“
„Entschuldigung“, flüsterte er. Hastig sah er zu der Frau, doch sie hatte ihn nicht bemerkt. Konzentriert tat sie einen Schritt vor den anderen und sprach laut, gegen das Trommeln der Regentropfen um sie herum, an.
„Doch, ich hab es ja versucht. Aber es war eine bescheuerte Idee, das bin nun mal nicht ich. Ach, Herrgott noch mal …“, sie taumelte, „… warte bitte kurz …“. Sie blieb stehen, lehnte sich an eine Häuserwand, klemmte das Handy zwischen Schulter und Ohr, zog die Schuhe aus und schleuderte sie über den Bürgersteig.
Der Mann duckte sich, doch zu spät. „Aua, scheiße, verdammt!“
Fortsetzung Nr. 3 (Anna): Er hatte versucht auszuweichen, aber das hatte es noch schlimmer gemacht. Er hatte sein Gleichgewicht verloren und trotzdem hatte er das Wurfgeschoss abbekommen. Der Schuh hatte ihn so ungünstig getroffen, dass der Absatz auf seiner Stirn einen tiefen Kratzer hinterlassen hatte. Er fing an zu bluten. Renate sah den Fremden mit einer Mischung aus Entsetzen und Angst an. Er wirkte so schlampig, zerknittert. Aber sie war schuld daran, dass er blutete. Aus sicherem Abstand fragte sie ihn, ob alles okay wäre. Und als sie hörte, wie er vor sich hin schimpfte, dass er mal wieder auf der Jagd wegen einer blöden Wette in eine so dämliche Situationen gekommen war, schaute sie irritiert. „Wette, wieso Wette?“ Ihre Alarmglocken schrillten. Was wusste er über sie? „Ja, sie und ihre blöde Wette und jetzt ist meine Jacke versaut, voller Blut, wie soll ich denn da nachher zu dem Termin gehen?“ Renate packte die Panik: „Sind sie mir etwa gefolgt?“ „Ja … nein … ich“, das Wasser lief über seine Wangen, seine Hände, er strich sich über die Stirn – nun hatte sich das Wasser rötlich gefärbt. Ihm wurde schwindelig. Er konnte doch kein Blut …
Fortsetzung Nr. 4 (Ina): Er blinzelte. Grelles Licht. Er sah nach vorne. Strahlendes Weiß. Er sah nach links. Nackte Füße. Nackte Füße? Er setzte sich auf. „Autsch!“ Sein Kopf pochte. „Werden Sie jetzt wieder ohnmächtig?“ Die Frau lehnte in einem Stuhl, ihre nackten Füße hatte sie auf den gegenüberstehenden gelegt. Hitze stieg ihm ins Gesicht. Er war ohnmächtig geworden. Vor ihr. Nein, wegen ihr! „Sie haben aber auch einen harten Wurf.“ Die Frau setzte sich gerade hin. „Ich spiele seit 35 Jahren Baseball.“ Er grinste. „Was gibt es zu lachen?“ „Sie in einem Baseballdress … eine interessante Vorstellung“ … und irgendwie sexy, ergänzte er in Gedanken. Schnell sah er auf den Boden. „Warum sind sie überhaupt barfuß?“ Sie erhob sich. „Weil ich wegen ihnen in Panik ausgebrochen bin, den scheiß Krankenwagen gerufen habe, sie hier her begleitet habe um ihr Händchen zu halten und meine ganzen Sachen deswegen noch in irgendeinem gottverlassenen Hauseingang stehen, an einen Hauseingang, an den ich mich noch nicht mal mehr erinnern kann.“ Sie wandte sich zur Tür.
Fortsetzung Nr. 5(Anna):
„Warten sie!“ Er versuchte sich aufzusetzen und zuckte vor Schmerzen sofort zurück. Sein Kopf fiel schwer in das Kissen. Sie sprang zu ihm: „Sie dürfen sich nicht bewegen, hat doch der Arzt gesagt.“ Ihre Stimme klang leicht entnervt.
„Leider war ich geistig nicht anwesend und habe das nicht mitbekommen.“ Er versuchte seine Stimme so nüchtern wie möglich klingen zu lassen. Doch der Witz war bei ihr angekommen und sie lächelte, jetzt ein wenig versöhnlich.
„Schon besser“, kommentierte er es.
„Was habe ich noch verpasst?“ Vorsichtig sah er sich im Zimmer um und drehte sich zur Seite. Sein Blick fiel auf seine Uhr, die auf dem Nachttisch lag. Er stöhnte. „Meine Kinder …“
„Was ist mit ihnen?“
„Ich muss sie abholen.“ Er versuchte aufzustehen. Aber sie drückte ihn zurück in die Kissen. „Das geht jetzt nicht. Sie sind beim Hinfallen hart aufgeschlagen und dürfen jetzt wirklich nicht …“
„Aber meine Kinder …“ Er versuchte weiter unter Stöhnen aufzustehen, während Renate ihn nach unten drückte. Er verzweifelte „Lassen sie mich, als Alleinerziehender muss man immer. Egal wann oder wie.“
„Kontrollfreak oder was? Sie müssen doch sicher nicht alles alleine machen. Rufen sie ihre Eltern an, lassen sie jemanden anderen die Kinder holen, sie sind jetzt dran mit ausruhen.“
Aber er schüttelte nur den Kopf. Plötzlich wurde ihm wieder sehr schwindelig. Seine Haut wurde blasser, als sie vorher schon gewesen war. Renate hätte nicht für möglich gehalten, dass das ging und staunte, wie kalkweiß er vor ihr lag. „Da ist niemand. Ich muss.“ Eine Träne ran aus seinem Augenwinkel.
„Okay, ich wollte heute eh nicht mehr nach Hause. Ich kann mich um die Kinder kümmern, wenn sie mir das zutrauen.“ Er sah sie schief an. „Eigentlich sind sie viel zu gefährlich für eine Babysitterin.“ „Ehrlich, ich bin selbst Mutter und weiß, was ich tue.“ Sie sah an sich hinunter, „meistens jedenfalls.“
„6, 8, 11, Lilly, Annabell, Finn, Kita Rübenkamp 123, dann Grundschule Genßlerstraße 33, Finn lotst sie von da weiter.“ Er warf sich nach oben und kotzte geräuschvoll in die Spukschüssel auf dem Nachttisch. Mit einem Stöhnen fiel er zurück in die Kissen und wiederholte wie ein Roboter: „6, 8, 11, Lilly, Annabell, Finn, Kita Rübenkamp 123, dann Grundschule Genßlerstraße 33, Finn lotst sie von da weiter.“
Da verstand Renate: das war die Instruktion für sie und mit dieser würde sie zu seinen drei Kindern finden. „Lilly wartet schon.“ Schnell holte sie einen Stift und Zettel, notierte die Abholerlaubnis, ließ ihn unterschreiben und sprintete los zum Taxi. Schweißüberströmt kam sie an der Kita an und befürchtete, dass sie ihr Lilly wegen ihres Aussehens nicht mitgeben würden. Immerhin war sie immer noch barfuß. Aber die Erzieherin hatte ganz andere Sorgen: „Also es mag ja so sein, dass der Michael Ihnen das geschrieben hat. Trotzdem mache ich da nicht mit. Was soll das Kind denn lernen: dass da nur irgendjemand Fremdes kommen braucht und behaupten muss, dass der Papa krank ist? Nee, die Kleine bleibt hier.“ Kein Widerspruch half. Erst als die Polizei kam, ließ sich die Erzieherin überzeugen.
Fortsetzung Nr. 6(Ina):
„Wer bist du?“, „Warum bist du barfuß?“, „Wo ist der Papa?“ – Finn fragte ganz viel, die anderen beiden waren still. Sie ging in die Hocke. „Euer Papa hatte einen Unfall, aber macht euch keine Sorgen, es wird ihm bald besser gehen … wir rufen ihn gleich an, dann wird er euch alles erklären. Ich bin heute euer Kindermädchen. Ihr kennt doch bestimmt den Film Mary Poppins?“ Die drei nickten. Annabell sagte: „Aber Nanny McPhee ist cooler.“ Renate lachte, auch wenn es in ihrem inneren rumorte. Sie konnte die drei doch nicht nach Hause bringen und dort allein lassen … „Was haltet ihr davon, wenn wir zu mir nach Hause fahren?“ Die drei sahen sie mit großen Augen an. „Und was ist mit Jack und Will?“ Renate spürte, wie sich ein Schweißfilm auf ihrem Rücken bildete. „Wer sind denn die beiden?“ „Jack ist unser Papagei und Will unser Kater.“ Drei fremde Kinder, zwei fremde Tiere, sie war immer noch barfuß und wenn sie nicht bald etwas zu essen bekam, dann würde sie umfallen. „Jetzt steigen wir erst mal in ein Taxi und fahren zu euch, dann sehen wir weiter.“
Im Taxi waren die Kinder still. Renate schickte eine WhatsApp an ihren Sohn: „Ich brauche dringend deine Hilfe. Hast du Zeit? – Alte Straße 48. Bring viel Pizza mit und ein Paar Turnschuhe von dir.“ Sie gelangten in ein Viertel, nahe des Hafens. Die Bäume waren hier knochig und wirkten vom Wind zerzaust, ihre Äste standen kreuz und quer in alle Richtungen. Vor einem Haus mit gelber Fassade und himbeerroten Fenstern blieb das Taxi stehen. Finn zog den Schlüsselbund von seinem Hals und rannte auf die Haustür zu. Renate zahlte. Sie konnte gerade noch die Antwort ihres Sohnes lesen. „Hat es was mit einer Wette zu tun? Ich bin eh in der Nähe und gleich da.“ Renate folgte den Kindern zum Eingang. Als er die Tür aufschloss und sie eintraten, blieb ihr der Mund offen stehen.
Fortsetzung Nr. 7(Anna):
Ein großer grüner Drache starrte sie an. Oder starrte er doch auf ihre Füße? Seine Augen zeigten in verschiedene Richtungen und sie konnte nicht ausmachen, was er hauptsächlich anglotzte. „Fridolin“, kreischte da Lilly los und rannte auf den Drachen zu. Sie blieb kurz vor ihm stehen, holte Schwung und sprang – direkt in den Drachen hinein. Renate wurde schwindelig. Das war ganz schön viel für einen Tag. Aber das hatte sie davon. Schließlich hatte sie beschlossen, dass ihr Leben so nicht weiter gehen konnte und war losgefahren, um alles zu ändern. Da flog auch schon die Tür hinter ihr auf und ihr Sohn stand grinsend da. „Hab ich doch gesagt, dass es reicht, Majas Kleider zur Bahnhofsmission zu bringen, um alles zu ändern. Aber wieso du gleich noch deine Schuhe loswerden musstest, musst du mir sofort erzählen.“ Ein Kreischen unterbrach ihn und er starrte jetzt auch auf den grünen Drachen. „Was ist das denn?“, seine Kinnlade klappte herunter.
Renate sah ihn an: „Ich habe keine Ahnung.“
Lilly kreischte wieder. Aber es klang weder ängstlich, noch verzweifelt, sondern einfach fröhlich. Der Drache hatte inzwischen seinen Kopf verloren. Er kullerte auf den Flurfliesen herum. An der Stelle, wo er auf den Schultern des grünen Ungetüms gesessen hatte, waren jetzt dunkle Locken zu sehen. Sie waren verklebt, weil die Person in dem Kostüm offensichtlich extrem schwitzte. Lilly kreischte wieder und hüpfte auf dem Drachen herum. „Fridolin, Fridolin, Fridolin.“
Renate sah die anderen zwei Kinder fragend an. „Sollten wir sie von ihm runterholen?“ Annabell und Finn grinsten nur. „Schon gut, das ist nur Fridolin. Unser Onkel.“
„Ihr habt einen Onkel? Wieso hat der euch heute nicht abholen können?“, rutschte es Renate heraus.
Finn sah sie schief an, „Das geht doch nicht, Fridolin ist viel zu unzuverlässig. Sagt Papa immer.“
Na toll, dachte Renate. Da hatten wir jetzt drei Kinder, zwei Haustiere, einen unzuverlässigen Drachen und eine Situation die sie komplett überforderte.
„Pizza?“, ihr Sohn kannte sie einfach zu gut. Genau deshalb hatte er herkommen sollen. Sie nickte und ging auf die Wohnzimmertür zu. „Halt!“, Finn schob sie zur Seite. „Wir gehen besser zuerst rein. Will kennt dich nicht, er ist nämlich eine Wachkatze.“ Das hatte er allerdings zu spät gesagt, denn Renate hatte schon die Tür aufgeschlossen und Katzenzähne bohrten sich in ihren großen Zeh.
Fortsetzung Nr. 8(Ina):
Sie schrie auf – die Katze biss noch fester, neben ihr tauchte ein Drachenfuß auf und stupste die Katze an. „Lass sie in Ruhe“, die Katze sah erschrocken hoch und rannte dann zu den Kindern in den Flur.
Hinter den Locken zeigten sich dunkle Augen. Der Mann, nun ja, es war eher ein junger Kerl, sah nach unten. „Sie bluten.“
Sie biss sich auf die Lippen. „Das habe ich heute auch schon zu jemanden gesagt, zu ihrem Bruder!?“
„Andreas?! Was ist mit ihm?!“
Sie zog ihn etwas zur Seite. „Er ist im Krankenhaus, Kopfverletzung, es wird aber.“
„Du meine Güte. Kann ich ihn anrufen?“
„Vielleicht nach dem Essen – mit den Kindern zusammen?“
„Ja, natürlich.“ Er lächelte sie an. Er betrachtete ihr Gesicht. Renate wandte den Blick ab.
„Zeigt ihr mir die Küche?“, hörte sie ihren Sohn rufen. „Yeeeaaahr“, hörte sie zwei der Kinder jubeln. Finn kam ins Zimmer und schlang die Arme um den dicken Drachenbauch. „Papa ist nicht da.“ Fridolin versuchte sich zu ihm runter zu beugen und kippte leicht, humpelnd stemmte sich Renate gegen ihn. „Alles gut, mein Großer, ich bin da und diese sehr nette Frau ohne Schuhe auch.“ Er grinste.
Finn sah die beiden an, „ich hole ihr Socken!“
Renate lächelte. „Das ist das Beste, was ich heute höre.“
Ihr Sohn kam herein und trug zwei riesige Teller mit Pizza. „Abendbrot!“
Die Kinder stürmten in das Zimmer. Finn reichte ihr die Socken. „Vielen Dank.“
„Wer füttert mich?“, rief Fridolin. „Wir alle!“, rief Lilly. Abwechselnd schoben sie sich und Fridolin die Pizzastücke in den Mund. Während des Essens wurden sie ruhiger.
Das Essen tat gut, in ihr wurde es warm, die Kinder waren endlich zu Hause und in der Nähe ihrer Betten.
Ihr Sohn musterte sie. „Siehst du“, sagte Michael, „nur wegen der Wette hattest du so einen aufregenden Tag und hast anscheinend gleich zwei Männer kennengelernt.“ Er sah zu Finn. „Entschuldige, sogar drei.“
Renate nahm eines der Kissen und warf es nach ihm.
Fridolin sah sie an und grinste verschmitzt. Ihre Blicke trafen sich. Er kaute und sah ihr tief in die Augen. Meine Güte, flirtete er mit ihr? Sie war doch mindestens fünfzehn Jahre älter.
„Waff für eine Wette?“, fragte er zwischen den Bissen.
Fortsetzung Nr. 9(Anna):
Renate schluckte. Schon mehrmals war sie heute kurz davor gewesen, es zu erzählen – das Undenkbare. Bisher hatte sie sich immer zurückhalten können. Sie wollte das doch nie: So eine emotionale Kuh sein, die jedem gleich ihre Tragödie auftischte und intime Details ausplauderte. Sie nahm sich noch ein Stück Pizza, sah auf den geschmolzenen Käse, roch die Salami und biss noch einmal ab. War es wirklich noch so wichtig, ob es jemand außerhalb der Familie wusste oder nicht? War nicht, nach allem, was passiert war, endlich Zeit loszulassen? Sie schob die Pizza extra weit in ihren Mund, damit er ja so voll wäre, dass sie nicht sprechen könnte und starrte auf die Socken, die ihr Finn vor ein paar Minuten in die Hand gedrückt hatte. Sie sahen eindeutig männlich aus. Und zu groß waren sie ihr. Zu groß wie ihr altes Leben.
„Majscha hatmisch vlasden.“
Die Worte kamen einfach so aus ihr heraus. Sie waren kaum zu verstehen, aber für Renate war das sehr viel. Michael sah seine Mutter mit großen Augen an. Sie hatte wirklich etwas sehr Privates gesagt und hielt sich an ihre Abmachung, jeden Tag etwas Neues auszuprobieren. Und dabei war es heute schon die zweite Sache.
Renate schluckte die Pizza herunter und plapperte los: Wie sie Matthias kennengelernt und ihn verletzt hatte. Wie sie die Tüten zur Bahnhofsmission gebracht hatte, wie sie überhaupt erst auf die Idee gekommen war, weil es da diese Wette mit ihren Kindern gab. Wie sie Majas ultrasexy Kleidchen, die Renate plötzlich so hasste, in die Tüten gestopft und verschenkt hatte, einfach nur, um etwas Neues zu tun statt zu Hause zu weinen. Immer weiter redete sie sich in die Vergangenheit hinein. Bis zu dem entscheidenden Punkt: Das Maja, ihre große Liebe, sie verlassen hatte und ihr Leben deshalb gerade gar keinen Sinn mehr machte.
Fridolin fiel dazu nur eins ein: „Ich hab keine Chance bei dir?“
Renate lachte. Das war das Letzte, das sie erwartet halte. Immer hatte sie sich in den schillerndsten Farben ausgemalt, wie Leute auf ihr Outing reagieren würden. Jahrelang hatte sie alles geleugnet und verschwiegen, nur ihre Familie wusste davon. Jahrelang hatte sie mit der Geheimniskrämerei ihre Beziehung zu Maja ruiniert, bis am Ende keine Kraft für die Liebe mehr übrig gewesen war.
Fridolin störte es gar nicht. Er dachte nur darüber nach, ob er sie ins Bett kriegen würde oder nicht. Und Renate, die Renate, die sich eigentlich seit Jahren keinen Mann an ihrer Seite vorstellen konnte, fand das gar nicht so schlimm.
„Hab ich was Falsches gesagt?“
Renate schüttelte den Kopf und lächelte ihn an.
Fortsetzung Nr. 10(Ina):
Michael setzte sich neben sie und legte den Arm um ihre Schulter. „Mensch, Mama, hättest du mir das mal eher gesagt, wir hätten doch zusammen auf die Rolle gehen können.“
Sie boxte ihn gegen die Schulter, „du bist ein Blödmann“.
Er legte den Kopf leicht schief. „Wie geht es dir?“
Sie merkte, wie sich ihre Kehle zuschnürte. „Ich fühlte mich so allein.“
Fridolin stand auf und kippte dabei fast um, dann ließ er sich ebenfalls neben sie plumpsen. „Ich glaube, heute hast du viele neue Freunde gewonnen, oder Kinder?“
Die Kids stürmten auf sie los und umarmten sie gleichzeitig: „joaaaaaahhhrr“.
Renate lachte auf und schüttelte über ihr eigenes Verhalten den Kopf.
Warum hatte sie nicht viel eher den Mut gefunden?
Manchmal braucht es vielleicht ein paar Fremde, um die richtige Entscheidung zu treffen.