„Zwei Inseln, ein Meer“ – Die Fotos

Für das Cover meines Buches „Zwei Inseln, ein Meer“ ist durch die Fotografin Juliane ‚Linse‘ Befeld [Linsensüppchen 54] eine wunderschöne Fotoreihe entstanden. Einige Bilder habe ich für das Marketing genutzt und möchte sie euch hier nun zusammen zeigen. Mehr Infos zu dem Buch und dem Fotoprojekt findet ihr am Ende des Beitrages.

   Ich sende euch Liebe und eine dicke Umarmung. Habt Sonne im Herzen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Den Kurzroman „Zwei Inseln, ein Meer“ habe ich im Herbst 2020 veröffentlicht. Es ist mein erstes Buch, welches ich alleine im Selfpublishing herausgebracht habe. Als es um das Cover ging, habe ich sofort an Juli als Fotografin gedacht. Ich kenne ihre Arbeiten schon seit vielen Jahren und sie berühren mich immer auf besondere Weise. Ich bin ihr sehr dankbar für diese Fotos, denn sie bilden für mich eine Brücke von meinem Text hin zu euch.

Mehr Fotos der Reihe gibt es auf Julis Instagram-Account.

In meiner neuen Blog-Serie „1 Buch 5 Fakten“ erfahrt ihr noch weitere Details zu „Zwei Inseln, ein Meer“.

Mir fiel es sehr schwer, mich für ein Cover-Bild zu entscheiden. Hättet ihr ein anderes gewählt? Habt ihr ein Lieblingsfoto aus der Reihe? Schreibt mir, ich freue mich auf eure Meinung dazu (inaspostkasten@ina-steg.de).

 

Fotos von: Juliane LINSE Befeld | Linsensüppchen 54 (die Fotos unterliegen dem Urheberrecht)

1 Buch – 5 Fakten: „Zwei Inseln, ein Meer“ (Teil 2)

Heute folgt der 2. Teil der Reihe 1 Buch – 5 Fakten zu „Zwei Inseln, ein Meer“. Viel Spaß.

 ~Den ersten Teil findet ihr hier~


 

Fakt Nr. 6:

In das Buch ist eines meiner liebsten Gedichte von Paul Celan eingeflossen: Zwiegestalt (aus: Paul Celan, Die Gedichte, hrsg. v. Barbara Wiedemann, 2018, mit Genehmigung des Suhrkamp Verlages Berlin). Ich finde es schön, Worte festhalten zu können, die mir gut tun und mich inspirieren. Ich glaube, nur, wenn andere ebenfalls das Schöne in ihrem Leben weitergeben und davon erzählen, können wir stets Ungewöhnliches und Neues entdecken.

Fakt Nr. 7:

Eine Szene entsteht bei mir oft nach dem gleichen Schema: Ich stelle mir einen Dialog der Hauptfiguren mit einem bestimmten Gefühl vor und schreibe ein paar Sätze davon auf. Hier zum Beispiel reden sie über Nähe und wie sie sich miteinander fühlen:

»Du bist gerne hier bei mir in meinem Arm, oder?

»Ja.«

»Du könntest bleiben.«

Diese Situation passt meistens noch gar nicht in die Abfolge der Geschichte, aber ich habe sie schon mal festgehalten und weiß, dass sie irgendwann zu dieser Vertrautheit gelangen werden, dann lese ich mir die Sätze wieder durch und der restliche Dialog und das Drumherum entwickeln sich beim Schreiben. Diese Sätze sind gar nicht in der Geschichte gelandet, sie waren für mich aber sehr wichtig.

Fakt Nr. 8:

Jedes Projekt hat ein Dokument mit dem Titel ‚Informationen‘, dort sammle ich alles, was ich bei meinen Recherchen finde und was für die Entwicklung der Geschichte noch interessant sein könnte. Für ‚Zwei Inseln, ein Meer‘ gab es drei Links:

  • U-Bahn-Fahrplan München
  • Kleiner Rosengarten
  • Rose ‚Easy Going‘

Fakt Nr. 9:

Aufgrund der unterschiedlichen Lebenssituationen in denen ich bei jedem Projekt stecke, entstehen die Geschichten zu den verschiedensten Uhrzeiten und an den unterschiedlichsten Wochentagen. Diese schrieb ich oft sonntags, da ich damals noch Vollzeit gearbeitet habe.

Fakt Nr. 10:

Für das Buch habe ich meine erste, eigene Werbeanzeige in der ‚L-Mag‘ geschaltet. Das war sehr aufregend. Ihr könnt sie dort noch in der aktuellen sowie in der nächsten Ausgabe (Mai/Juni sowie Juli/August) entdecken.

Da nach meinem letzten Beitrag gefragt wurde, was ein „Souflierblatt“ für die Figurenentwicklung ist, werde ich demnächst dazu einen Beitrag schreiben. Mit der Reihe „1 Buch – 5 Fakten“ mache ich ebenfalls weiter. Wenn ihr Fragen zu meinen Büchern habt, schreibt mir gerne: inaspostkasten@ina-steg.de. Ich freue mich immer über Post von euch.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Buch gibt es unter der ISBN 9783752627244 im Buchhandel, z.B. bei Thalia

oder direkt im Shop von Book On Demand.

Foto von: Juliane LINSE Befeld | Linsensüppchen 54 (dieses Foto unterliegt dem Urheberrecht)

Das Schreiben und wir – Drei Autor*innen, ein Gespräch

Ein Gespräch unter alten Bäumen zwischen den Autor*innen Jess Tartas, Ina Steg und Morton Tartas über das Buch „Der Weg des Künstlers“ von Julia Cameron. Notizen, Gedanken und Erfahrungen über eine andauernde Reise, das Schreiben, den Mut, zu scheitern, liebevolle Weggefährten und das Selbstbild als Künstler*in.

 

Wie das Buch „Der Weg des Künstlers“ zu uns fand und warum wir uns entschlossen, es durchzuarbeiten.

 Jess: Die Autorin und Kabarettistin Andrea Schomburg gab ein Theaterseminar an meiner Uni. Natürlich ging es hauptsächlich um Schauspiel, dennoch war ihre Lehre auch von ihrer Tätigkeit als Autorin geprägt. Ich sah in ihr eine außergewöhnliche Ansprechpartnerin und sagte in der letzten Sitzung frei heraus: „Ich will als Schriftstellerin arbeiten und davon leben können.“ Es gehört Mut dazu, dies so offen auszusprechen, denn oft wird man dafür belächelt oder stößt sogar auf Ablehnung und erhält Ratschläge, die einem davon abraten, es überhaupt zu versuchen. Frau Schomburg war aber ausgesprochen ermutigend und riet mir, mit dem „Weg des Künstlers“ zu arbeiten. Es hätte auch ihr geholfen, den Einstieg zu finden. Ich nahm ihren Rat ernst und bestellte mir umgehend das Buch in der kleinen Buchhandlung, die auf dem Heimweg von der Uni zu meiner Wohnung liegt. Am nächsten Tag ging es dann los.

Jess Tartas

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Morton: Als Künstler empfand ich mich trotz der Gedichte, Theaterstücke oder Kurzgeschichten, die ich in meiner Jugend schrieb, zu keiner Zeit. Dann, als meine Geliebte, Jess, in einem Theaterseminar von der Dozentin das Buch empfohlen bekam, nahm Jess mich gleich mit auf den Weg des Künstlers. Es klang so sehr nach uns, die wir viel schrieben, aber nicht so recht wussten, wohin mit den Worten. Zu Beginn der Arbeit mit dem Buch kam wohl die Frage auf, was wäre denn, würden wir es ernst meinen, würden schreiben, um davon zu leben? Vor dem Buch lautete die Antwort darauf: Kategorienfehler, die Frage ist falsch gestellt, ich kann das nicht. Durch das Buch entkräftete sich diese kreative Kasteiung, es ist nun mehr folgende Antwort: Klar, mach doch!

Das Gemeinsame, das wir durch die Seiten des Buches nun teilten, war gespickt von unseren beiden Perspektiven, Zweifeln und Hoffnungen. Ich glaube, dass eine große Triebfeder, das Buch zu nutzen, die morgendlichen drei Seiten freien Schreibens sind. Ein Ritual, dass wir beide bis heute beibehalten.

Morton Tartas

 

Ina: Vor zwei Jahren verlor ich plötzlich die Leidenschaft am Schreiben. Ich arbeitete zu dem Zeitpunkt an der Entwicklung einer neuen Geschichte deren Figuren ich sehr mochte und auf die ich mich freute, aber trotzdem hatte ich keine Leichtigkeit mehr am Schreibtisch und ich kam kaum noch voran. Ich machte mich auf die Suche nach einem Schreibratgeber, in der Hoffnung, dass mich neue Denkanstöße motivieren könnten. Eher durch Zufall fand ich im Netz Camerons Buch. Ein Glücksfall. Ich fasste bereits nach den ersten Seiten den Mut, beim Schreiben eine Pause einzulegen und mich ganz und gar den wöchentlichen Aufgaben zu widmen. Nach und nach kam die Lust auf das Schreiben zurück und ich konnte mir dank der vielen unterschiedlichen Anregungen einen tolle Schatzkiste zusammenstellen, auf die ich nun immer wieder zurückgreifen kann.

Ina Steg

 

Wenn die Kreativität nicht fließt und was uns dann hilft.

 Morton: Nachdem ich verstanden habe, dass etwas meine Kreativität im festen Griff der Unproduktivität hat, geht es oft darum, die Ursache und Hilfsmittel dagegen zu erkennen. Zumeist ist es das Gespräch mit Jess, sie schreibt selbst und ist meine Gefährtin. Manchmal sind die Probleme klein, so wie Wetterfühligkeit oder Übermüdung. Dafür lässt sich mit einem Spaziergang sorgen.

Jedoch muss nicht immer etwas Problematisches vorliegen. Es kommt schließlich auch vor, dass die Geschichten mehr hergeben wollen, als ich selbst zu schreiben weiß. In solchen Fällen ist es auch wieder der Austausch, der die Kohlen anheizt, auf welchen ich bei freudigem Schreiben sitze.

Ein weiteres Kreativmittel ist für mich Musik. Ich versuche mich der Neugierde wegen, an verschiedenen Instrumenten oder probiere neue Griffe auf der Gitarre, die ich noch am besten beherrsche. Dies führt mich dann zur Musik von den Smashing Pumpkins, Nick Cave und Amanda Palmer. Deren Klänge wiederum wecken den Wunsch nach dem Draußen, frischer Luft und spazieren im Wald. All diese Handlungen sind an das Lesen anderer Autor*innen gekoppelt. So begleitet mich ein Buch in den Wald, in die U-Bahn und tapst mir in der Wohnung in jedes Zimmer hinterher. Die Worte darin, die linguistisch gezeichneten Bilder, sie stoßen mich an und machen mich sagen: Genauso will ich das auch!

 

Ina: Früher dachte ich, ich müsse auch in so einer Situation dranbleiben und unbedingt weitermachen. Jetzt mache ich viele Pausen, besonders wenn es gut läuft, denn mittlerweile weiß ich, dass ich mich dann besonders schnell auspowere und meine kreative Kraft verschleudere. Wenn ich neue Ideen brauche, gehe ich gerne spazieren, ohne bewusst über etwas nachzudenken. Mir helfen bunte, verrückte und liebevolle neue Eindrücke. Ich liebe zum Beispiel Museumsshops. Dort ist es oft ganz still und man kann andächtig durch Bildbände blättern oder die vielseitigsten Postkarten betrachten.

Ich beschäftige mich auch immer wieder mit ganz neuen Dingen, die gar nichts mit dem Schreiben zu tun haben. Neulich habe ich Kekse gebacken und sie mit Smarties und Pflaumenmus gefüllt. Ich kehre aus solchen Momenten mit viel Freude und Lust auf das Schreiben zurück. Es hilft mir außerdem, mich mit anderen über meine Sorgen auszutauschen. Ich stelle dann fest, dass ich damit gar nicht alleine bin und ich nicht zu streng mit mir sein sollte.

Schuber der Inspiration von Ina mit Stickern, Kinderbüchern, Zeitschriften, Briefen und Theater-Programmheften.

 

Jess: Manchmal brauche ich Abwechslung im Alltag und dann wieder Ablenkung vom Alltag. Inspiration erhalte ich durch Ortswechsel, beim Lauschen in der Stille, aber auch durch ein Wort, das Gedanken anstößt. Ich muss mir Zeit für Beobachtungen nehmen und was für mich ganz wichtig ist: Bücher lesen, Filme sehen, Hörspiele und Musik hören. Ich ziehe viel Kraft aus der Arbeit anderer. Manchmal inspiriert mich ein Satz in einem Text zu einer neuen Kurzgeschichte. Körperliche Bewegung tut mir auch gut, weil sie meine Gedanken nachhaltig in Bewegung versetzt. Es ist wichtig, mal ganz und gar Abstand vom Text zu nehmen und ihn liegenzulassen. Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen sind für mich auch essenziell, um ein Wir-Gefühl zu spüren und neue Ansätze kennenzulernen. Oh, und gutes, frisches Essen ist sehr wichtig. Schreiben ist ein ziemlich ganzheitlicher Prozess.

 

Was wir beim Schreiben um uns brauchen.

Ina: Wenn ich an einer Geschichte sitze, habe ich immer das entsprechende Notizbuch neben dem Tisch liegen. Für jedes Projekt habe ich ein eigenes Buch, damit nichts durcheinandergerät. Außerdem lege ich mir für jedes Projekt eine kleine Kiste an, in der ich Sachen sammle, die mir bei der Recherche begegnen oder die mich inspirieren. Für „Letzte Zutat Liebe“, in der die Hauptfigur Laura eine Astronautin ist, hatte ich unter anderem einen Bildband über das Weltall darin liegen, eine Spielzeug-Astronautinnen-Figur als Glücksbringer sowie ganz viele Notizzettel, auf denen ich mir Zitate von Astronaut*innen notiert hatte, als ich Dokumentationen der NASA über ihre Weltraumflüge geschaut habe.

Wenn es mir nicht gut geht, brauche ich die gute Energie von anderen. Dann klappe ich meine aufstellbare Pinnwand auf. Daran hängen Postkarten und Briefe von Freunden und meiner Familie sowie Bilder aus Filmen, die mir viel bedeuten. Wenn ich an meiner Steuererklärung sitze, ist der Tisch aus gegebenem Anlass ganz leer und eine Ödnis, da darf mich nichts ablenken, sonst ist es um meine Konzentration ganz schnell geschehen.

Ich arbeite manchmal in der Küche und mal an einem ausklappbaren Tisch im Wohnzimmer, was den Vorteil hat, dass ich nach jedem Projekt immer alles wegräume und beim nächsten Mal wieder Platz für Neues ist. Mir tut das gut, denn es ist jedes Mal wie ein neuer Start.

 

Jess: Am allerwichtigsten ist Ordnung für mich. Keine Pedanterie, aber es darf nichts herumliegen, was eigentlich weggeräumt gehört, weil es mich sonst zum Aufräumen verleitet. Ich muss also darauf achten, meinen Gedanken den Raum zu geben, den sie zum Wandern brauchen. Meine Augen dürfen nicht am Haushalt hängenbleiben, das bereitet auch irgendwie schlechte Laune. Ich habe aber sehr wohl Dinge um mich. Ich habe eine kleine Galerie von Fotos mit mir und Menschen, dir mir nahestehen und jenen, die ich bewundere und treffen durfte. Sibylle Berg, Heinz Strunk, Lindsey Way und Alfred Ladylike. Und auch ihr, Ina und Mort, seid an meiner Wand über dem Schreibtisch. Ich mag Gegenstände, die meine Fantasie anregen.

Gerade versammeln sich auf meinem Arbeitsplatz eine Hexenfigur, ein Hase und ein Zauberbuch vom Künstler Jon Carling, ein Holzwürfel von meiner Mentorin („Manchmal muss man würfeln“, schrieb sie mir dazu), Ganesha, ein kleines Stück vom Boden meiner alten Jugend-Disco, Actionfiguren von Rey Skywalker und Kylo Ren aus Star Wars, Bohnen und ein Schokofrosch aus Harry Potter, ein Bild von Fieberherz und ein alter Silberring. Es geht noch weiter: ein Zauberkessel von Bibi Blocksberg, eine Fledermaus, ein Wal aus Speckstein den Mort für mich gemacht hat, ein Beutel mit den ausgefallenen Schnurrhaaren meiner Katzen, ein Fake-Ausweis aus einer dystopischen Realität des Amerikas 2019, eine Hexenflasche und noch einiges mehr. Das klingt nach viel, ist es auch, aber es sind sehr kleine Dinge, deren Wirkung mächtig ist und darum bekommen sie ihren Platz.


Bücher und Hörspiele, zu denen Jess‘ immer wieder zurückkehrt, weil sie ihr gut tun.

 

 

Morton: An meinem Arbeitsplatz habe ich immer ein Heißgetränk: morgens Kaffee, zu allen anderen Tee. Schreibe ich auf Papier, so ist alles darin gegeben, den Stift über das Blatt zu führen. Ich finde es bemerkenswert, dass es bei weniger sinnlichen Reizen durch Papier, Füller oder Bleistift, weniger an Dingen um mich herum benötigt, als beim Schreiben am Computer. Hier brauche mehr analoge, sachliche Gegenstände, auf denen Hände und Augen ruhen: Tintenfässer, Kerzen, Bücher und Handschmeichler (ein gelber Jaspis). Ich habe digitale Bilder von Landschaften auf dem Desktop oder eine Reisebroschüre vorliegen, genauso wie Texte und Bücher, die zum jeweiligen Thema gehören und mich inspirieren.

Ob digital oder analog – ich habe gern ein weiteres Notizbuch für aufkommende Ideen bereit liegen. Camerons Rat folgend, begleitet mich bei Schreibfrust mein Künstlertotem, ein rosa Yoshi-Plüsch. Am liebsten schreibe ich zur Herbstzeit. Dann umgebe ich meine Schreibplätze mit gesammelten Laubblättern und den Früchten des Herbstes: Eicheln, Bucheckern, Kastanien und Nüssen.

 

Cameron empfiehlt jeden Morgen drei Seiten zu füllen, mit allem, was einem so durch den Kopf geht. Ihre „Morgenseiten“ begleiten uns auf besondere Weise.

Morton: Die Morgenseiten sind mir ein tägliches Ritual geworden, wie eine Literatenzigarette zum Kaffee. Nur gesünder und produktiver. Seit bald drei vier Jahren schreibe ich sie an den meisten Tagen und habe dabei immer freier Schreiben gelernt, was anfangs noch schwierig, sogar schmerzhaft gewesen ist. Da mir die Tätigkeit des Schreibens schon im Prozess des ersten Entwurfs meiner Projekte jeden Satz in perfekter Weise zu fertigen aufzudrängen schien, war es mir zunächst nicht vorstellbar, was das lose Schreiben überhaupt bringen solle. Doch das fehlende inhaltliche Ziel, sowie der nicht vorhandene Anspruch an Qualität, dies macht die Seiten zu einem befreienden Schreiben – es befreit mich vom langen Hadern und bringt mich ins Handeln in allen Lebensbereichen, wenn sie unwillkürlich Thema der Morgenseite werden.

Letztlich bedeutet es für meinen Tag ohne Morgenseite, dass sich die Gedanken über ihn verteilen und mich ungeordnete und auch zusammenhangslose Gedankenblitze ablenken. Mit den Morgenseiten erreiche ich für mich gesetzte Ziele leichter.

 

Ina: Ich habe die Morgenseiten immer mal wieder für mehrere Wochen am Stück geschrieben. In der Zeit passiert so viel mit mir, dass ich dann wieder eine Pause brauche. Ich empfinde die Seiten als ein Schreiben hin zu mir selbst. Die erste Seite ist meist sehr durcheinander und lose Gedanken reihen sich aneinander. Nach einiger Zeit bringe ich dann bestimmte Kernthemen auf das Papier. Das können Sorgen oder Ängste sein, ein Problem, mit dem ich nicht weiterkommen, aber auch überschwängliches, Dinge, die mich gerade faszinieren und beschäftigen, denen ich mich aber vielleicht nicht genug widmen kann oder nicht weiß, wie ich an sie rankomme. Auf der letzten Seite bekomme ich dann „Antworten“. Ich weiß, das klingt schräg, weil eigentlich bin ich selbst ja diejenige, die plötzlich die Lösungen ganz klar erkennt und niederschreibt. Dieser Prozess ist für mich sehr überwältigend, denn er bringt viel neuen Input, Ideen und Lösungen. Ich mache mir schon beim Schreiben der Morgenseiten einzelne Notizen. Oft lösen sie eine ganz akute Sache. Die anderen Notizen lege ich erstmal für ein oder zwei Wochen zur Seite und widme mich ihnen dann nach und nach.

Wenn ich die Morgenseite nicht schreibe, fehlen sie mir an den ersten Tagen sehr, weil im Kopf schnell wieder alles diffus und nicht so klar erscheint. Wenn ich damit nicht gut umgehen kann, schreibe ich die Morgenseiten wieder. Sie sind ein wertvolles Instrument, was ich dann nutze, wenn ich es unbedingt brauche oder mich auf dieses besondere Abenteuer einlassen will.

 

Jess: Zunächst war es eine echte Qual. Oft stand da: Meine Hand schmerzt. Mein Rücken schmerzt. Auf Seite 3: meine Seele schmerzt. Da wurde es dann interessant. Ich fand heraus, welchen Stift ich brauche, um mit der Hand gut schreiben zu können und auch die Seele ziept nicht mehr so sehr. 2018 machte ich eine lange Pause, denn ich war in Trauer. Rückblickend hätte es mir sicher gutgetan, aber ich konnte nicht. Als ich wieder begann, merkte ich, wie sehr sie mir gefehlt hatten. Wenn ich heute keine Morgenseiten schreibe, dann starte ich anders in den Tag. Es ist, als wäre ich weniger fokussiert und wüsste nicht ganz so genau, was ich erleben und erledigen will. Manchmal zwinge ich mich zu den Seiten, auch wenn da dann steht, dass ich Wäsche waschen will und dass es heute Pizza gibt. Manchmal versteckt sich dazwischen doch eine dringende Formulierung eines Wunsches.

Ich habe schon einige Male zurückgeblättert und festgestellt, dass ich mir viele meiner Wünsche erfüllt habe. Manche kleine, aber auch sehr große und lang gehegte. Das hätte ich vermutlich gar nicht bemerkt, wenn ich den Prozess nicht immer wieder aufgeschrieben hätte. Das ist ein gutes Gefühl, weil es mir zeigt, dass ich mich zielstrebig um mich und meine Bedürfnisse kümmere. Allerdings glaube ich, dass ich mir meiner Wünsche nicht so bewusst wäre, wenn ich sie nicht so oft formuliert und schriftlich festgehalten hätte. Über Wochen hinweg zu schreiben: „Ich werde dieses Skript im Mai abgeben, ich werde es tun, ich muss einfach, weil ich es will“ hat eine ganz andere Wirkung, als es zwischen Tür und Angel nur zu denken. Ich habe durch die Morgenseiten wohl auch gelernt, meine Ziele deutlich zu formulieren und sie sehr ernst zu nehmen.

 

Die inneren Kritiker – Begegnungen und Analysen

Jess: Er ist nie da, wenn ich still und brav für mich allein zufrieden bin. Er meldet sich, wenn ich glücklich mit meiner Arbeit bin und ich mich als Schriftstellerin mag. Wenn ich mit Ergebnissen und meiner Freude an die Öffentlichkeit gehen möchte, zum Beispiel auf Twitter, im Blog oder auf Veranstaltungen, dann funkt er mir kurz vorher dazwischen. Er sagt dann etwa: „Zeige mehr Demut. Gib nicht an. Du bist eingebildet.“ Er rollt auch mit den Augen und findet mich schrecklich lächerlich. Ich weiß diese Reaktionen des inneren Kritikers sogar auf konkrete Situationen und Personen in meinem Lebenslauf zurückzuführen, das habe ich in den Morgenseiten freigeschrieben. Denn auch da tauchte der Kritiker auf und streute überall Zweifel.

Es wird aber immer besser, weil ich weiß, dass es gar nicht meine eigenen Gedanken oder Ängste sind, sondern eigentlich die derjenigen, die einst solche ausbremsenden Dinge zu mir sagten. Stichwort: Verhinderter Künstler. Das sind Leute, die selbst gerne kreativ tätig wären, es aber aus verschiedenen Gründen nicht tun, und darum verhindern sie auch das kreative Glück anderer, um sich selbst damit zu beruhigen.

Ich sage meinem inneren Kritiker, dass er den Mund halten und sich verfatzen soll. Das tut mir erstmal gut. Dann nutze ich das im Buch empfohlene Totem als Symbol für mein inneres verletztes Künstlerkind und gebe ihm all den Zuspruch, den es gerade braucht. Inzwischen brauche ich dafür keine Minute mehr und dann ist die Sache abgehakt und ich kann weiterarbeiten.

 

Ina: Er meldet sich nicht nur wenn ich kreativ bin, sondern auch im Alltag. Beim Schreiben sagt er oft: du bist zu langsam. Im Alltag meint er, ich schaffe zu wenig.

Früher hat das dazu geführt, dass ich viel zu hektisch geschrieben habe, was die Überarbeitungszeit noch viel länger gemacht hat.

Ich hatte oft Angst, nicht jeden Tag ausgiebig zu nutzen und habe zig Sachen gemacht, mit dem Ergebnis, dass über lange Strecken nichts wirklich fertig wurde und ich mich total ausgepowert habe. Irgendwann habe ich festgestellt, dass mir dieses Verhalten weder guttut, noch dass ich Freude an den Dingen hatte, die ich gemacht habe. Ich versuche mich nun allem ganz und gar zu widmen und vor allem, nicht immer nur das Ziel vor Augen zu haben, um den nächsten Haken auf der To-do-Liste machen zu können.

Wenn der Kritiker nun meint, ich sei langsam beim Schreiben, kann ich ihm sagen, dass ich dafür den Genuss bei jedem Absatz empfinde und es sich bei der Überarbeitung auszahlen wird. Im Alltag freue ich mich über das, was ich geschafft habe und lobe und belohne mich dafür. Wenn ich Altpapier weggebracht habe, gönne ich mir eine Kugel Eis oder wenn ich nur öde Sachen machen musste, schaue ich einen besonders bunten und fröhlichen Film. Manchmal bin ich auch dankbar, wenn der Kritiker laut wird, denn dann setzt Trotz bei mir ein und ich denke: Weißt du was? Ich mache das wie ich will. Jetzt erst recht!

 

Morton: In jeder Möglichkeit zu schreiben verbirgt sich der Kritiker wie ein Teufel im Detail. Sei es ein Tweet, sei es das neue Kapitel einer literarischen oder wissenschaftlichen Arbeit, fast jedes Wort steht gegen den Zweifel an: „Ist das wichtig? Interessiert es überhaupt? Es gibt doch sicher mehr, bessere und würdigere Schreibende als mich.“ Allzu leicht vergesse ich, dass es nicht meine eigene Lust am Schreiben ist, die mich da anspricht. Natürlich nicht. Aber weil sich der Kritiker schon im Kopf am mentalen Immunsystem vorbeischlich, fällt er nicht so schnell auf und sieht aus wie ein wahrhaftiger Teil meines Selbst.

Bewusst wird er dann als das lähmende Neurotoxin, wenn ich im Gespräch mit anderen bin. Im Zusammensein liegt so viel mehr Potential, mehr Wissen, das zum Erkennen wird. Durch Camerons Definition vom Kritiker ist es mir möglich, die Entfremdung in den kritischen Stimmen zu erkennen. Dann stehe ich da wie Gandalf vor dem Balrog des Morgoth und rufe: Du kommst nicht in mein Herz!

 

Über Erkenntnisse und Ratschläge aus Camerons Buch, anderen Büchern oder von Künstler*innen, die in uns nachwirken und uns bereichert haben.

Ina: In Camerons Buch gibt es eine Übung, in der man sich daran erinnern soll, wodurch früher die eigene Phantasie beflügelt wurde. Bei mir waren es Spielzeugfiguren. Also habe ich mir eine Spielekiste angelegt und als erstes zog eine Dinosaurierfigur dort ein. Ein T-Rex. Er ist ganz bunt und seine Ausstrahlung gewaltig. Er erinnert mich daran, dass ich als Kind auch nur eine einzige Figur brauchte und rundherum entstand dann eine neue Welt. Er hilft mir, mich beim Schreiben daran zu erinnern, dass ich alles rund um eine Figur jederzeit sehen, fühlen und schmecken kann, wenn ich es möchte und brauche. Diese Kiste ist mittlerweile ein herrlich verrückter Ort, darin befinden sich Scharniere, Sticker, Farbtöpfe, Pinsel und Actionfiguren.

In Camerons Buch „Von der Kunst des kreativen Schreibens – Der Weg zum inspirierten Schriftsteller“ gibt es ein Kapitel über Ausdrücklichkeit. Die Kernaussage: Schreibe, was du sagen willst und zwar in all seiner Direktheit und Klarheit. Ich blockiere mich oft, weil ich angelernte Standartformulierungen und Sprachbilder benutze. Bei der Überarbeitung meiner Texte versuche ich mittlerweile diese aufzuspüren und frage mich: was willst du wirklich sagen? Die Formulierung wird danach meist viel einfacher, aber dennoch direkter. Ich habe das auf viele andere Bereiche übertragen. Von einem geschäftlichen Brief oder einer Mail schreibe ich oft eine erste Version und packe dort alles hinein, was ich wirklich sagen will. Das hat zwei Effekte: Zum einen ist dann alles mal raus, was ich zu sagen hatte. Das können auch gerne mal Beschimpfungen sein oder alles, was mich gerade an der Situation ärgert. Zudem komme ich viel schneller auf den Punkt, weil ich in der Ausdrücklichkeit klar und einfach bleibe. Ich muss in der zweiten Version meist gar nicht mehr viel ändern. Ja gut, die Sätze mit den Beschimpfungen nehme ich natürlich raus, aber ich kichere herzlich dabei.

Mich formen und bereichern Begegnungen mit anderen und ich denke, viele Menschen wissen oft gar nicht, was sie alles auslösen können, indem sie zuhören, ihre Erfahrungen teilen oder versuchen, sich in andere hineinzuversetzen. Ich durfte zum Beispiel für ein Foto-Projekt mal eine Schauspielschülerin einen Tag lang begleiten und konnte ihr beim Unterricht und ihren Proben zusehen. Das ist zwölf Jahre her und immer, wenn mir alles zu viel wird, besinne ich mich auf ihre besondere Energie, mit der sie jedem Augenblick begegnete. Ein Moment fließt in den anderen. Der Fokus liegt auf dem, was man jetzt gerade tut und zwar, mit all dem, was man gerade fähig ist, zu geben. Ohne Bewertung, ohne streng mit sich zu sein. Für mich ist das meine Definition von Leidenschaft und Hingabe geworden, die ich ohne sie, vielleicht so nie empfunden hätte.

 

Notizbücher für die Morgenseiten von Jess und Morton (oben).

 

Morton: Für mich sind die Morgenseiten zum Alltag geworden. Ich habe durch sie und das Buch Camerons auch gelernt, dass ich es mir und meiner Kreativität wert bin, mich mit Kleinigkeiten von großer Wirkung zu verwöhnen – das ist zum Beispiel ein Spaziergang mit meiner Lieblingsmusik oder ein neuer Stift, von dem ich noch herausfinden muss, wozu ich den eigentlich gebrauche. Aus dem Buch „Wonderbook“ von Jeff Vandermeer habe ich eine Arbeitsweise für Manuskripte übernommen: Eine Seite der Kladde beschriften, die andere für Notizen, Verbesserungen oder Skizzen freilassen. So lässt sich der Schreibprozess leichter auch auf Papier nachverfolgen, was wiederum Raum für neue Ideen lässt.

Cameron schlug vor, eine Collage vom eigenen Idealbild des Selbst als Künstler*in zu fertigen. Ich tat mich mit der Aufgabe schwer, aber Jess half mir und machte mir ein großartiges Geschenk: Sie fertigte die Collage für mich, was mich sehr glücklich macht. Wann immer ich sie an meiner Wand betrachte, bin ich von ihrem Blick auf meine Person und meine künstlerische Produktion gerührt, beflügelt und ein stückweit stärker als davor.

 

Jess: Ich empfinde Camerons Handlungsplan als eine der hilfreichsten Methoden zum Erreichen von Zielen. Man nimmt sich ein Herzensprojekt vor und schreibt auf, was man hierfür in fünf, drei, einem Jahr, in einem Monat, einer Woche und jetzt tun kann, um es zu realisieren. Ich habe das bisher für ein Kinderbuch, ein Hörspiel und meine Abschlussarbeit gemacht und bin jeweils im Zeitplan geblieben. Zu sehen, wie groß der Unterschied zwischen „Jetzt“ und „in fünf Jahren“ ist, tut gut. Es nimmt dem ganzen Vorhaben die Schwere, denn zu erkennen, dass sich ein Projekt in fünf Jahren vermutlich etabliert hat oder man die Sache eigentlich schon vergessen hat, ist erleichternd. Unter „Jetzt“ steht dann so etwas wie „Ich erstelle diesen Handlungsplan“ oder „Ich kaufe mir einen neuen Bleistift.“ Das ist so niedrigschwellig, da will man dann auch sofort loslegen.

Der Autor Austin Kleon hat in seinem Buch „Steal like an Artist“ über den Künstlerinnen-Stammbaum geschrieben. Man solle sich aus den Menschen, deren Kunst man sich nahe fühlt, seinen eigenen kreativen Stammbaum erstellen. Bei mir stehen da auf der Seite der Verstorbenen zum Beispiel Shirley Jackson, Lucy Maud Montgomery, Peter Lustig und meine Oma. Es tut gut, mich als Person zu betrachten, die künstlerisch von ihnen abstammt. Denn ihre Arbeiten wirken in mir nach und wenn man genau hinsieht, dann erkennt man das auch. Neben mir steht ihr, Ina und Mort, und noch andere Kreative, die mir etwas bedeuten.

Ansonsten ziehe ich viel Kraft für mein Tun aus Begegnungen mit Menschen, die ich für ihre Arbeit bewundere. Als ich zu Sibylle Berg sagte, ich würde gerne das, was sie als Live-Performance zu ihrem Buch „GRM“ tat, auch mal tun will, antwortete sie schlicht „Mach das doch!“ Wenn ich daran zurückdenke, dann sage ich zu mir: Ja, warum eigentlich nicht?

Meine Oma, die von Beruf Musikerin war, sagte immer, man muss die Dinge einfach ausprobieren und wenn es nichts für einen ist, dann lässt man es halt wieder. Sie hat mir mit dieser Einstellung vorgelebt, was es heißt, selbstständig kreativ tätig zu sein. Man hört niemals damit auf und hat dabei auch eine Menge Spaß, wenn man sich gestattet, wirklich neugierig zu sein.

 

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Bildrechte: Die Fotos in diesem Beitrag unterliegen dem Urheberrecht.

 

 

 

„Willst Du mit mir …“ – Die Geschichte

„Willst Du mit mir schreiben?“ – Mit der Frage fing es an und wir, Anna Thur und ich, haben uns in das Abenteuer gestürzt. In 11 Schritten, zwischen denen manchmal Stunden, Tage oder Wochen lagen, haben wir zusammen eine Geschichte geschrieben. Hier ist sie – uncut, unverfälscht:

Der Regen durchweichte ihre neuen Schuhe. Natürlich tat er das. Wer kaufte sich schon High Heels im Herbst? Renate schüttelte über ihr heutiges Verhalten den Kopf.
Sie betrachtete ihre frisch getönten Haare im Schaufenster und die Tüten, voll mit Klamotten, die ihre Arme schmerzen ließen. Sie hätte sich nicht auf die Wette mit Michael einlassen sollen. Es hatte ja ganz amüsant geklungen, jeden Tag etwas völlig neues auszuprobieren, aber jetzt gerade fühlte sie sich unwohl. Nein, nein, so ein Unsinn, dachte sie. Sie schaute sich um, dann eilte sie auf die Bahnhofsmission zu.
„Entschuldigen Sie, kann ich hier irgendwo eine Kleiderspende abgeben?“
Als sie das Gebäude wieder verließ, summte ihr Handy. Michael, natürlich. Ihr Sohn war zehn Mal neugieriger als ihre Tochter. Sie hörte ihn am andere Ende der Leitung sagen: „Hallo Mama. Und wie ist es gelaufen?“

Fortsetzung Nr. 1 (Anna):
„Wie soll es schon gehen, wenn man eine Wette verliert“, seufzte Renate. „Und das bei dem Wetter.“ Ihre Stimme klang nörgelig und trotzdem war herauszuhören, dass sie, egal was sie versprochen hatte, es immer halten würde. Selbst wenn es darum ging eine bescheuerte, verlorene Wette einzulösen.
Das hörte selbst der Mann heraus, der sie interessiert beobachtet hatte, wie sie im strömenden Regen auf die Bahnhofsmission zu stolziert und ohne Tüten wieder herausgekommen war. Alleine das war schon ungewöhnlich. Denn es gab nicht viele Frauen mit ihrem Aussehen, die sich hierher trauten.
Aber was er sich wirklich die ganze Zeit fragte war: „Warum hatte sie High Heels dabei an?“ Er beschloss, ihr zu folgen. Unauffällig, so lange es ging. Für den Fall, dass sie ihn doch bemerken würde, holte er vorsorglich seinen Presseausweis heraus und versuchte ihn sich an der Brusttasche seiner Jacke anzuheften, während er ihr nachging.
Es war gar nicht so einfach, das richtige Tempo zu halten, ihr nicht zu nah zu kommen und sie trotzdem nicht zu verlieren, während ihn die kleine biestige Nadel des Ausweises stach. Er fluchte darüber, während sich schon in seinem Kopf die Schlagzeile zu der schönen Unbekannten formte:

Fortsetzung Nr. 2 (Ina):
„Wette gegen Mid-Life-Crisis“
Er grinste über seine geniale Idee und stolperte dabei fast über einen Hund, der an einem seiner Beine entlang streifte. Seine Besitzerin zog den Hund weg. „Passen sie doch auf!“
„Entschuldigung“, flüsterte er. Hastig sah er zu der Frau, doch sie hatte ihn nicht bemerkt. Konzentriert tat sie einen Schritt vor den anderen und sprach laut, gegen das Trommeln der Regentropfen um sie herum, an.
„Doch, ich hab es ja versucht. Aber es war eine bescheuerte Idee, das bin nun mal nicht ich. Ach, Herrgott noch mal …“, sie taumelte, „… warte bitte kurz …“. Sie blieb stehen, lehnte sich an eine Häuserwand, klemmte das Handy zwischen Schulter und Ohr, zog die Schuhe aus und schleuderte sie über den Bürgersteig.
Der Mann duckte sich, doch zu spät. „Aua, scheiße, verdammt!“

Fortsetzung Nr. 3 (Anna):
Er hatte versucht auszuweichen, aber das hatte es noch schlimmer gemacht. Er hatte sein Gleichgewicht verloren und trotzdem hatte er das Wurfgeschoss abbekommen. Der Schuh hatte ihn so ungünstig getroffen, dass der Absatz auf seiner Stirn einen tiefen Kratzer hinterlassen hatte. Er fing an zu bluten.
Renate sah den Fremden mit einer Mischung aus Entsetzen und Angst an. Er wirkte so schlampig, zerknittert. Aber sie war schuld daran, dass er blutete. Aus sicherem Abstand fragte sie ihn, ob alles okay wäre. Und als sie hörte, wie er vor sich hin schimpfte, dass er mal wieder auf der Jagd wegen einer blöden Wette in eine so dämliche Situationen gekommen war, schaute sie irritiert. „Wette, wieso Wette?“ Ihre Alarmglocken schrillten. Was wusste er über sie?
„Ja, sie und ihre blöde Wette und jetzt ist meine Jacke versaut, voller Blut, wie soll ich denn da nachher zu dem Termin gehen?“ Renate packte die Panik: „Sind sie mir etwa gefolgt?“
„Ja … nein … ich“, das Wasser lief über seine Wangen, seine Hände, er strich sich über die Stirn – nun hatte sich das Wasser rötlich gefärbt. Ihm wurde schwindelig. Er konnte doch kein Blut …

Fortsetzung Nr. 4 (Ina):
Er blinzelte. Grelles Licht. Er sah nach vorne. Strahlendes Weiß. Er sah nach links. Nackte Füße. Nackte Füße? Er setzte sich auf. „Autsch!“ Sein Kopf pochte. „Werden Sie jetzt wieder ohnmächtig?“ Die Frau lehnte in einem Stuhl, ihre nackten Füße hatte sie auf den gegenüberstehenden gelegt. Hitze stieg ihm ins Gesicht. Er war ohnmächtig geworden. Vor ihr. Nein, wegen ihr!
„Sie haben aber auch einen harten Wurf.“ Die Frau setzte sich gerade hin. „Ich spiele seit 35 Jahren Baseball.“ Er grinste.
„Was gibt es zu lachen?“
„Sie in einem Baseballdress … eine interessante Vorstellung“ … und irgendwie sexy, ergänzte er in Gedanken. Schnell sah er auf den Boden. „Warum sind sie überhaupt barfuß?“ Sie erhob sich. „Weil ich wegen ihnen in Panik ausgebrochen bin, den scheiß Krankenwagen gerufen habe, sie hier her begleitet habe um ihr Händchen zu halten und meine ganzen Sachen deswegen noch in irgendeinem gottverlassenen Hauseingang stehen, an einen Hauseingang, an den ich mich noch nicht mal mehr erinnern kann.“ Sie wandte sich zur Tür.

 Fortsetzung Nr. 5 (Anna):
„Warten sie!“ Er versuchte sich aufzusetzen und zuckte vor Schmerzen sofort zurück. Sein Kopf fiel schwer in das Kissen. Sie sprang zu ihm: „Sie dürfen sich nicht bewegen, hat doch der Arzt gesagt.“ Ihre Stimme klang leicht entnervt.
„Leider war ich geistig nicht anwesend und habe das nicht mitbekommen.“ Er versuchte seine Stimme so nüchtern wie möglich klingen zu lassen. Doch der Witz war bei ihr angekommen und sie lächelte, jetzt ein wenig versöhnlich.
„Schon besser“, kommentierte er es.
„Was habe ich noch verpasst?“ Vorsichtig sah er sich im Zimmer um und drehte sich zur Seite. Sein Blick fiel auf seine Uhr, die auf dem Nachttisch lag. Er stöhnte. „Meine Kinder …“
„Was ist mit ihnen?“
„Ich muss sie abholen.“ Er versuchte aufzustehen. Aber sie drückte ihn zurück in die Kissen. „Das geht jetzt nicht. Sie sind beim Hinfallen hart aufgeschlagen und dürfen jetzt wirklich nicht …“
„Aber meine Kinder …“ Er versuchte weiter unter Stöhnen aufzustehen, während Renate ihn nach unten drückte. Er verzweifelte „Lassen sie mich, als Alleinerziehender muss man immer. Egal wann oder wie.“
„Kontrollfreak oder was? Sie müssen doch sicher nicht alles alleine machen. Rufen sie ihre Eltern an, lassen sie jemanden anderen die Kinder holen, sie sind jetzt dran mit ausruhen.“
Aber er schüttelte nur den Kopf. Plötzlich wurde ihm wieder sehr schwindelig. Seine Haut wurde blasser, als sie vorher schon gewesen war. Renate hätte nicht für möglich gehalten, dass das ging und staunte, wie kalkweiß er vor ihr lag. „Da ist niemand. Ich muss.“ Eine Träne ran aus seinem Augenwinkel.
„Okay, ich wollte heute eh nicht mehr nach Hause. Ich kann mich um die Kinder kümmern, wenn sie mir das zutrauen.“ Er sah sie schief an. „Eigentlich sind sie viel zu gefährlich für eine Babysitterin.“ „Ehrlich, ich bin selbst Mutter und weiß, was ich tue.“ Sie sah an sich hinunter, „meistens jedenfalls.“
„6, 8, 11, Lilly, Annabell, Finn, Kita Rübenkamp 123, dann Grundschule Genßlerstraße 33, Finn lotst sie von da weiter.“ Er warf sich nach oben und kotzte geräuschvoll in die Spukschüssel auf dem Nachttisch. Mit einem Stöhnen fiel er zurück in die Kissen und wiederholte wie ein Roboter: „6, 8, 11, Lilly, Annabell, Finn, Kita Rübenkamp 123, dann Grundschule Genßlerstraße 33, Finn lotst sie von da weiter.“
Da verstand Renate: das war die Instruktion für sie und mit dieser würde sie zu seinen drei Kindern finden. „Lilly wartet schon.“ Schnell holte sie einen Stift und Zettel, notierte die Abholerlaubnis, ließ ihn unterschreiben und sprintete los zum Taxi. Schweißüberströmt kam sie an der Kita an und befürchtete, dass sie ihr Lilly wegen ihres Aussehens nicht mitgeben würden. Immerhin war sie immer noch barfuß. Aber die Erzieherin hatte ganz andere Sorgen: „Also es mag ja so sein, dass der Michael Ihnen das geschrieben hat. Trotzdem mache ich da nicht mit. Was soll das Kind denn lernen: dass da nur irgendjemand Fremdes kommen braucht und behaupten muss, dass der Papa krank ist? Nee, die Kleine bleibt hier.“ Kein Widerspruch half. Erst als die Polizei kam, ließ sich die Erzieherin überzeugen.

Fortsetzung Nr. 6 (Ina):
„Wer bist du?“, „Warum bist du barfuß?“, „Wo ist der Papa?“ – Finn fragte ganz viel, die anderen beiden waren still. Sie ging in die Hocke. „Euer Papa hatte einen Unfall, aber macht euch keine Sorgen, es wird ihm bald besser gehen … wir rufen ihn gleich an, dann wird er euch alles erklären. Ich bin heute euer Kindermädchen. Ihr kennt doch bestimmt den Film Mary Poppins?“ Die drei nickten. Annabell sagte: „Aber Nanny McPhee ist cooler.“ Renate lachte, auch wenn es in ihrem inneren rumorte. Sie konnte die drei doch nicht nach Hause bringen und dort allein lassen … „Was haltet ihr davon, wenn wir zu mir nach Hause fahren?“ Die drei sahen sie mit großen Augen an. „Und was ist mit Jack und Will?“ Renate spürte, wie sich ein Schweißfilm auf ihrem Rücken bildete. „Wer sind denn die beiden?“ „Jack ist unser Papagei und Will unser Kater.“ Drei fremde Kinder, zwei fremde Tiere, sie war immer noch barfuß und wenn sie nicht bald etwas zu essen bekam, dann würde sie umfallen. „Jetzt steigen wir erst mal in ein Taxi und fahren zu euch, dann sehen wir weiter.“
Im Taxi waren die Kinder still. Renate schickte eine WhatsApp an ihren Sohn: „Ich brauche dringend deine Hilfe. Hast du Zeit? – Alte Straße 48. Bring viel Pizza mit und ein Paar Turnschuhe von dir.“ Sie gelangten in ein Viertel, nahe des Hafens. Die Bäume waren hier knochig und wirkten vom Wind zerzaust, ihre Äste standen kreuz und quer in alle Richtungen. Vor einem Haus mit gelber Fassade und himbeerroten Fenstern blieb das Taxi stehen. Finn zog den Schlüsselbund von seinem Hals und rannte auf die Haustür zu. Renate zahlte. Sie konnte gerade noch die Antwort ihres Sohnes lesen. „Hat es was mit einer Wette zu tun? Ich bin eh in der Nähe und gleich da.“ Renate folgte den Kindern zum Eingang. Als er die Tür aufschloss und sie eintraten, blieb ihr der Mund offen stehen.

Fortsetzung Nr. 7 (Anna):
Ein großer grüner Drache starrte sie an. Oder starrte er doch auf ihre Füße? Seine Augen zeigten in verschiedene Richtungen und sie konnte nicht ausmachen, was er hauptsächlich anglotzte. „Fridolin“, kreischte da Lilly los und rannte auf den Drachen zu. Sie blieb kurz vor ihm stehen, holte Schwung und sprang – direkt in den Drachen hinein. Renate wurde schwindelig. Das war ganz schön viel für einen Tag. Aber das hatte sie davon. Schließlich hatte sie beschlossen, dass ihr Leben so nicht weiter gehen konnte und war losgefahren, um alles zu ändern. Da flog auch schon die Tür hinter ihr auf und ihr Sohn stand grinsend da. „Hab ich doch gesagt, dass es reicht, Majas Kleider zur Bahnhofsmission zu bringen, um alles zu ändern. Aber wieso du gleich noch deine Schuhe loswerden musstest, musst du mir sofort erzählen.“ Ein Kreischen unterbrach ihn und er starrte jetzt auch auf den grünen Drachen. „Was ist das denn?“, seine Kinnlade klappte herunter.
Renate sah ihn an: „Ich habe keine Ahnung.“
Lilly kreischte wieder. Aber es klang weder ängstlich, noch verzweifelt, sondern einfach fröhlich. Der Drache hatte inzwischen seinen Kopf verloren. Er kullerte auf den Flurfliesen herum. An der Stelle, wo er auf den Schultern des grünen Ungetüms gesessen hatte, waren jetzt dunkle Locken zu sehen. Sie waren verklebt, weil die Person in dem Kostüm offensichtlich extrem schwitzte. Lilly kreischte wieder und hüpfte auf dem Drachen herum. „Fridolin, Fridolin, Fridolin.“
Renate sah die anderen zwei Kinder fragend an. „Sollten wir sie von ihm runterholen?“ Annabell und Finn grinsten nur. „Schon gut, das ist nur Fridolin. Unser Onkel.“
„Ihr habt einen Onkel? Wieso hat der euch heute nicht abholen können?“, rutschte es Renate heraus.
Finn sah sie schief an, „Das geht doch nicht, Fridolin ist viel zu unzuverlässig. Sagt Papa immer.“
Na toll, dachte Renate. Da hatten wir jetzt drei Kinder, zwei Haustiere, einen unzuverlässigen Drachen und eine Situation die sie komplett überforderte.
„Pizza?“, ihr Sohn kannte sie einfach zu gut. Genau deshalb hatte er herkommen sollen. Sie nickte und ging auf die Wohnzimmertür zu. „Halt!“, Finn schob sie zur Seite. „Wir gehen besser zuerst rein. Will kennt dich nicht, er ist nämlich eine Wachkatze.“ Das hatte er allerdings zu spät gesagt, denn Renate hatte schon die Tür aufgeschlossen und Katzenzähne bohrten sich in ihren großen Zeh.

Fortsetzung Nr. 8 (Ina):
Sie schrie auf – die Katze biss noch fester, neben ihr tauchte ein Drachenfuß auf und stupste die Katze an. „Lass sie in Ruhe“, die Katze sah erschrocken hoch und rannte dann zu den Kindern in den Flur.
Hinter den Locken zeigten sich dunkle Augen. Der Mann, nun ja, es war eher ein junger Kerl, sah nach unten. „Sie bluten.“
Sie biss sich auf die Lippen. „Das habe ich heute auch schon zu jemanden gesagt, zu ihrem Bruder!?“
„Andreas?! Was ist mit ihm?!“
Sie zog ihn etwas zur Seite. „Er ist im Krankenhaus, Kopfverletzung, es wird aber.“
„Du meine Güte. Kann ich ihn anrufen?“
„Vielleicht nach dem Essen – mit den Kindern zusammen?“
„Ja, natürlich.“ Er lächelte sie an. Er betrachtete ihr Gesicht. Renate wandte den Blick ab.
„Zeigt ihr mir die Küche?“, hörte sie ihren Sohn rufen. „Yeeeaaahr“, hörte sie zwei der Kinder jubeln. Finn kam ins Zimmer und schlang die Arme um den dicken Drachenbauch. „Papa ist nicht da.“ Fridolin versuchte sich zu ihm runter zu beugen und kippte leicht, humpelnd stemmte sich Renate gegen ihn. „Alles gut, mein Großer, ich bin da und diese sehr nette Frau ohne Schuhe auch.“ Er grinste.
Finn sah die beiden an, „ich hole ihr Socken!“
Renate lächelte. „Das ist das Beste, was ich heute höre.“
Ihr Sohn kam herein und trug zwei riesige Teller mit Pizza. „Abendbrot!“
Die Kinder stürmten in das Zimmer. Finn reichte ihr die Socken. „Vielen Dank.“
„Wer füttert mich?“, rief Fridolin. „Wir alle!“, rief Lilly. Abwechselnd schoben sie sich und Fridolin die Pizzastücke in den Mund. Während des Essens wurden sie ruhiger.
Das Essen tat gut, in ihr wurde es warm, die Kinder waren endlich zu Hause und in der Nähe ihrer Betten.
Ihr Sohn musterte sie. „Siehst du“, sagte Michael, „nur wegen der Wette hattest du so einen aufregenden Tag und hast anscheinend gleich zwei Männer kennengelernt.“ Er sah zu Finn. „Entschuldige, sogar drei.“
Renate nahm eines der Kissen und warf es nach ihm.
Fridolin sah sie an und grinste verschmitzt. Ihre Blicke trafen sich. Er kaute und sah ihr tief in die Augen. Meine Güte, flirtete er mit ihr? Sie war doch mindestens fünfzehn Jahre älter.
„Waff für eine Wette?“, fragte er zwischen den Bissen.

Fortsetzung Nr. 9 (Anna):
Renate schluckte. Schon mehrmals war sie heute kurz davor gewesen, es zu erzählen – das Undenkbare. Bisher hatte sie sich immer zurückhalten können. Sie wollte das doch nie: So eine emotionale Kuh sein, die jedem gleich ihre Tragödie auftischte und intime Details ausplauderte. Sie nahm sich noch ein Stück Pizza, sah auf den geschmolzenen Käse, roch die Salami und biss noch einmal ab. War es wirklich noch so wichtig, ob es jemand außerhalb der Familie wusste oder nicht? War nicht, nach allem, was passiert war, endlich Zeit loszulassen? Sie schob die Pizza extra weit in ihren Mund, damit er ja so voll wäre, dass sie nicht sprechen könnte und starrte auf die Socken, die ihr Finn vor ein paar Minuten in die Hand gedrückt hatte. Sie sahen eindeutig männlich aus. Und zu groß waren sie ihr. Zu groß wie ihr altes Leben.
„Majscha hatmisch vlasden.“
Die Worte kamen einfach so aus ihr heraus. Sie waren kaum zu verstehen, aber für Renate war das sehr viel. Michael sah seine Mutter mit großen Augen an. Sie hatte wirklich etwas sehr Privates gesagt und hielt sich an ihre Abmachung, jeden Tag etwas Neues auszuprobieren. Und dabei war es heute schon die zweite Sache.
Renate schluckte die Pizza herunter und plapperte los: Wie sie Matthias kennengelernt und ihn verletzt hatte. Wie sie die Tüten zur Bahnhofsmission gebracht hatte, wie sie überhaupt erst auf die Idee gekommen war, weil es da diese Wette mit ihren Kindern gab. Wie sie Majas ultrasexy Kleidchen, die Renate plötzlich so hasste, in die Tüten gestopft und verschenkt hatte, einfach nur, um etwas Neues zu tun statt zu Hause zu weinen. Immer weiter redete sie sich in die Vergangenheit hinein. Bis zu dem entscheidenden Punkt: Das Maja, ihre große Liebe, sie verlassen hatte und ihr Leben deshalb gerade gar keinen Sinn mehr machte.
Fridolin fiel dazu nur eins ein: „Ich hab keine Chance bei dir?“
Renate lachte. Das war das Letzte, das sie erwartet halte. Immer hatte sie sich in den schillerndsten Farben ausgemalt, wie Leute auf ihr Outing reagieren würden. Jahrelang hatte sie alles geleugnet und verschwiegen, nur ihre Familie wusste davon. Jahrelang hatte sie mit der Geheimniskrämerei ihre Beziehung zu Maja ruiniert, bis am Ende keine Kraft für die Liebe mehr übrig gewesen war.
Fridolin störte es gar nicht. Er dachte nur darüber nach, ob er sie ins Bett kriegen würde oder nicht. Und Renate, die Renate, die sich eigentlich seit Jahren keinen Mann an ihrer Seite vorstellen konnte, fand das gar nicht so schlimm.
„Hab ich was Falsches gesagt?“
Renate schüttelte den Kopf und lächelte ihn an.

Fortsetzung Nr. 10 (Ina):
Michael setzte sich neben sie und legte den Arm um ihre Schulter. „Mensch, Mama, hättest du mir das mal eher gesagt, wir hätten doch zusammen auf die Rolle gehen können.“
Sie boxte ihn gegen die Schulter, „du bist ein Blödmann“.
Er legte den Kopf leicht schief. „Wie geht es dir?“
Sie merkte, wie sich ihre Kehle zuschnürte. „Ich fühlte mich so allein.“
Fridolin stand auf und kippte dabei fast um, dann ließ er sich ebenfalls neben sie plumpsen. „Ich glaube, heute hast du viele neue Freunde gewonnen, oder Kinder?“
Die Kids stürmten auf sie los und umarmten sie gleichzeitig: „joaaaaaahhhrr“.
Renate lachte auf und schüttelte über ihr eigenes Verhalten den Kopf.
Warum hatte sie nicht viel eher den Mut gefunden?
Manchmal braucht es vielleicht ein paar Fremde, um die richtige Entscheidung zu treffen.

-Ende-

 

[box] Das Resümee von „Zwei Autorinnen, eine Geschichte – ein Experiment“: Wenn ihr mehr über die Hintergründe erfahren wollt, wie unser Schreibprojekt entstanden ist und wie das gemeinsame Schreiben lief, dann schaut hier vorbei: https://ina-steg.de/willst-du-mit-mir-resuemee-zum-schreibprojekt/. Zudem haben wir einen Gastbeitrag für den Blog von Cori Kane verfasst: https://seriouswriterdude.wordpress.com/2016/02/11/zwei-autorinnen-eine-geschichte-anna-thur-und-ina-steg-wagen-ein-experiment/.[/box]

 

Ein Gespräch mit Anna Thur

„Man hat seinen Schreibstil gefunden, wenn man sich in seinem Text zu Hause fühlt“

Ein Gespräch mit Anna Thur

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         Die Journalistin Anna Thur veröffentlicht seit über drei Jahren Erlebnisberichte und Kurzromane. In ihren Geschichtsbänden „Liebe“, „Leben“ und „AugenBlicke“ (siehe Bild) erzählt sie von Begegnungen und Erlebnissen verschiedenster Menschen und bietet dabei Einblicke in facettenreiche Charaktere. Detailreich schildert sie Alltagssituationen und lässt die Leserinnen und Leser so an aufregenden, traurigen und spannenden Momenten teilhaben.

    Auf ihrem Blog finden sich Beiträge über Ereignisse, die sie motivieren oder beeindrucken, ebenso über Bücher, Filme und kreative Menschen. Auf Twitter kann man nachlesen, was sie gerade bewegt (oder auch nervt).

 

 

 

Stell dich doch mal vor, wer bist du, was machst du? Wo findet man dich im Netz? Was gibt es auf deiner Internetseite und deinem Blog zu entdecken?

Erst einmal herzlichen Dank für die Einladung zum Interview. Deine Fragen gefallen mir sehr und Deine Arbeit auch. Dabei haben wir uns ja kennengelernt. Erst auf Twitter und dann beim Schreiben. Also: Ich bin, wie Du geschrieben hast, Journalistin, aber auch Bloggerin und Autorin, halte Twitter für coole moderne Kurzprosa und manchmal auch Rotzprosa – Und da misch ich gerne mit, genauso wie bei tumblr. Ansonsten schreibe ich neben meinem ,Brotschreiben‘ Kurzromane, habe inzwischen drei Bände davon im Selfpublishing veröffentlicht. In meinem Blog geht es um die Dinge, die mich inspirieren: Bücher, Draußen lesen, Charaktere – sei es aus Geschichten oder aus dem wahren Leben.

Seit wann schreibst du?

Puh. So genau kann ich das nicht sagen. In der Grundschule habe ich einen Preis für eine Kurzgeschichte gewonnen. Bis vor ein paar Jahren habe ich immer Tagebuch geschrieben. Damit angefangen habe ich schon sehr früh. Dann gab es noch ein Theaterstück beim Abi und ich hab die Schülerzeitung gemacht. Ich bin dann erst mal zum Journalismus und der PR. Gefühlt schreibe ich erst seit drei Jahren so RICHTIG Prosa.

Warum liebst du es, zu schreiben?

Mein Kopf ist voll mit bunten Bildern und Geschichten. Das war schon immer so und das Schreiben ist eine der wenigen Möglichkeiten, das beruflich rauszulassen.

Seit wann hast du deinen Blog und wie kam es dazu, dass du damit angefangen hast?

Meinen Blog habe ich im Frühjahr 2014 installiert, dann aber sehr unregelmäßig gepostet. Erst im Dezember 2014 habe ich so richtig angefangen zu bloggen. Am Anfang war einfach nur die Idee da, mit dieser Möglichkeit zu veröffentlichen zu spielen. Ich dachte von Anfang an auch daran, dort ein paar Sachen einzustellen, die ich nicht einfach nur so bei Facebook, Twitter oder Tumblr ‚reinhauen‘ will. Ein paar Arbeiten brauchen einfach einen anderen Rahmen. Doch bei mir hat sich kein automatisches „ich poste dann mal was“ eingestellt. Ich brauch da schon eher einen Plan, einen Rahmen, den ich mir selbst gebe. Sonst geht das im Arbeitsalltag unter. Ich wollte das aber nicht halbherzig betreiben und hab es deshalb Ende 2014 ausgebaut, einfach auch, weil es eine schöne Kommunikationsform mit Lesern, Kollegen und Freunden ist.

Warum hast du dich für das Selfpublishing entschieden?

Einer der Gründe war, dass sich die Vertragsbedingungen bei einem Verlag, für den ich sehr viel gemacht habe, so gravierend verändert haben, dass es für mich nicht mehr tragbar war. Schon als ich meinen ersten Vertrag in der Hand hatte, hatte mir ein Agent dringend davon abgeraten und gesagt: Zu diesen Konditionen geht das nicht. Aber ich hab es trotzdem gemacht, weil ich einen Anfang brauchte.

Für Selfpulishing habe ich mich auch wegen der Gestaltungsspielräume entschieden, weil ich Dinge ausprobieren kann und weil schneller etwas publiziert ist – vorher hatte ich für kleine Sachen oft einen Vorlauf von bis zu zwei Jahren. Du hast selbst Einfluss auf das Marketing, kannst etwas unternehmen, um voran zu kommen. Zum Glück kenne ich mich mit Marketing ein wenig aus.

Wie kommst du zu deinen Ideen und wie hältst du sie fest?

Die Ideen kommen eigentlich ständig: aus kleinen Alltagssituationen, Träumen, Begegnungen. Allerdings versiegen sie, wenn ich zu gestresst bin. Oder es gibt auch Phasen in denen ich mich regelrecht leergeschrieben fühle. Dann muss ich auftanken. Das geht am besten unterwegs, gerne auch in der Natur. ZACK sind sie schon wieder da, die Ideen, werden in Notizbücher gekritzelt oder zu meinen Projektheftern gepackt.

Erzähl mir von deinem Entwicklungsprozess eines Textes. Wie entsteht ein Blogeintrag?

Manche Texte basieren auf Ideen, die ich schon vor langer Zeit im Kopf hatte, lange daran recherchiert habe, oder an denen ich gefeilt habe. Andere Blogeinträge entstehen ganz spontan. Ein Mal zum Beispiel war es heftig kalt und das hat mich an die Huski-Augen auf einem Buch erinnert, dass ich sehr mag. Dann habe ich etwas über das Buch gepostet. Oder in einem Zeitungsbeitrag habe ich über den Verkauf einer Insel in Stockholms Schärengarten gelesen und den Makler kontaktiert, weil ich die Vorstellung schon immer superspannend fand, eine eigene Insel zu kaufen. Danach habe ich einen Post daraus gemacht.

Und wie entsteht eine Geschichte?

BAM! So entstehen sie meist. Manchmal sind sie einfach so da und müssen runter geschrieben werden. Manchmal ist erst nur eine Grundstimmung vorhanden, eine Grundidee, die auf einem Zettel oder in einem Notizbuch steht. Oder eine Anfangsszene ist in meinem Kopf. Und irgendwann kommt der Moment und die Geschichte muss so schnell wie möglich festgehalten werden. Das ist dann ein Festbeißen. Danach kommt das sacken lassen und im Anschluss wird gefeilt und überarbeitet. Es ist ganz wichtig, Distanz zu bekommen, deshalb muss zwischen den einzelnen Arbeitsschritten Zeit liegen. Wenigstens drei Tage.

Wer oder was inspiriert dich? Was befeuert deine Kreativität?

Menschen, Bilder, Musik, Natur, auch, wenn ich in Bewegung bin, zum Beispiel auf dem Fahrrad oder auf der Autobahn.

Was bedeutet dir der Austausch mit anderen kreativen Menschen? Und wo findest du diesen Austausch?

Finden kann man den an vielen Stellen. In meinem Freundeskreis sind zum Beispiel viele kreativ. In Communities oder zum Beispiel bei Twitter habe ich andere Kreative kennengelernt. Das ist sehr wichtig für mich und wenn ich das richtig wahrnehme, auch für mein Umfeld. Dieser Austausch bringt dich weiter. Du formulierst Ideen, schärfst sie dadurch und bekommst ein Feedback. Allerdings hat das Grenzen. Viele Dinge musst du mit dir selbst ausmachen, zum Beispiel wenn du dein Schreiben verändern willst.

Feilst du gerade an deinem Schreibstil? Hast du neue Textformen, die du ausprobierst, eine besondere Kreativmethode oder liest du gerade zum Beispiel einen bestimmten Schreibratgeber?

Ich schwöre auf das Autorenhandbuch von Sandra Uschtrin, da stehen alle Fakten von Adressen bis Vertragsinhalten drin. Ich hab von Duden ein Buch über Spannung. Und ich hab die „Poetik“ von Aristoteles – der hat vor zigtausend Jahren schon alles gesagt, was nötig war. Das war es mit mir und den Ratgebern.

Seminare, Workshops bringen mir viel mehr. Der Austausch mit anderen. Das konkrete Arbeiten am Text. Und da arbeite ich tatsächlich gerade sehr daran so zu klingen, wie eine Geschichte in meinem Kopf klingt. Die ersten Sachen habe ich geschrieben, weil ich was gelesen habe und dachte: Das kannst Du auch. Und die sind gut gelaufen. Aber jetzt, als Anna Thur, lese ich diese Texte und will, dass sie anders klingen, mehr nach mir. Dieser Prozess ist nicht einfach und geht nur mit schreiben, schreiben, schreiben plus ausprobieren, lesen und zuhören. Vor Kurzem habe ich zum Beispiel einer Freundin einen Text gegeben, der mal ganz anders war. Er war drei Seiten lang. Bei ihr hat er so viel ausgelöst, dass sie mir mit einem fünf Seiten langen Brief geantwortet hat. Was ich darin gelesen habe, hat mir gezeigt, dass der Text richtig war. An der Stelle kann ich jetzt weiter machen.

Daneben versuche ich mich an neuen Textformen.

Hast du Zeiten, in denen es mit dem Schreiben nicht recht klappt und falls ja, hast du eine Methode, dich selbst motivieren zu können?

Oh ja, ich hab immer wieder Schreibblockaden. Ich weiß aber, dass das normal ist und ich erst wieder reinkommen muss. Die einzige Methode, die mir dabei hilft ist Schreiben: anfangen, heulen, zicken, sich mistig fühlen, weiterschreiben. Ist leider so.

Woran kann man, deiner Erfahrung nach, erkennen, dass man seinen eigenen Schreibstil gefunden hat?

Wenn du dich in deinem Text zu Hause fühlst und selber weißt, dass du angekommen bist. Man merkt das selber sehr deutlich. Du liest dann deinen eigenen Text auch einfach gerne. Vorher nerven Stellen oder der Klang der Sprache einer Geschichte.

Wenn dir jemand erzählt, er würde sich gern dem Schreiben widmen und er würde sich wünschen, dass seine Texte von Vielen gelesen werden, was würdest du raten?

Wenn deine Texte von Vielen gelesen werden sollen, müssen sie sehr gut lesbar und professionell umgesetzt sein. Gleichzeitig müssen sie das gewisse Etwas haben. Das heißt, wenn dein Text noch nicht so weit ist, solltest du an ihm arbeiten und dich ebenfalls weiterentwickeln.

Freust du dich über Feedback zu deinen Texten und wie gehst du damit um?

Feedback ist eine tolle Sache. Natürlich tut das auch manchmal weh, gerade wenn man sich eingestehen muss, dass man es selbst eigentlich schon weiß und schlimmer noch, im Augenblick keine Lösung hat. Und man muss natürlich aufpassen und sich fragen, ob die Kritik immer konstruktiv ist, ob du es vielleicht trotzdem so lassen möchtest. Das ist ganz unterschiedlich und muss man von Fall zu Fall sehen.

Positives Feedback ist der Wahnsinn und wenn dir Leute ganz intime Dinge schreiben, zum Beispiel was gerade mit ihrer Ehe passiert und warum deine Geschichten ein Trost sind. Mich bewegen solche Momente sehr und da entwickeln sich mitunter sehr schöne Gespräche daraus.

Was sind deine Pläne für die kommende Zeit?

Die neuen Textformen werden mich noch eine Weile beschäftigen. Ich habe bisher ja vor allem Kurzromane und Truestories veröffentlicht, auf meinem Blog und in Social Media mit Mikrogeschichten und Mikroromanen gespielt. Das entwickle ich gerade weiter und bin gespannt, wo das hinführt. Außerdem arbeite ich am nächsten Kurzroman-Band.

Vielen Dank für das interessante Gespräch.