Über das Glück, mit jemandem eine Geschichte zu schreiben

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“Gasse ohne Mondlicht”

 

 

 

Schreibprojekt mit Jolene Walker

Sechs Monate lang durfte ich mich auf ein Schreibabenteuer einlassen, was in mir tiefe Spuren hinterlassen hat. Es hat mich zum Nachdenken gebracht. Nicht nur über das Schreiben selbst, sondern auch, wie ich anderen Menschen begegne.

Ich folge Jolene Walker seit langer Zeit auf Twitter. Ich mag ihre Tweets über starke Gefühle, wie Sehnsucht, Leidenschaft und Liebe, aber auch über Zweifel und Trauer. Jolene hat den Mut diese Empfindungen klar zu benennen. Dieser Mut findet sich auch in ihren Geschichten. Ihre Figuren stecken oft in einem Strudel aus Gefühlen, sind in ihren Worten und Gesten aber sehr klar und treffen einen damit mitten ins Herz.

Ich arbeitete im letzten Jahr an einer Geschichte, deren Thema mir sehr wichtig ist. Ich habe es schon ein paar Mal erleben dürfen, Menschen zu treffen, die ich sehr mochte, aber nicht klar benennen konnte, in welche konkrete Richtung das Ganze ging. Bevor ich oder der beziehungsweise die andere den nächsten Schritt machte, trennten sich unsere Wege. Ich habe mich gefragt, wie es gelaufen wäre, wenn man den Mut gehabt hätte, sich nur für einen einzigen Abend zu treffen, mit der Übereinkunft, sich gegenseitig Fragen zu stellen und diese ehrlich zu beantworten.                                                         Ich fühlte mich zu Jolenes Art des Schreibens hingezogen. Vielleicht spürte ich auch, dass es eine Art war, die mir zu diesem Zeitpunkt sehr fehlte. Denn die beiden Frauen, Jill und Catrin, blieben trotz meines Vorhabens, sie mutig sein zu lassen, in meiner Geschichte eher oberflächlich. Ich fragte Jolene, ob sie mit mir an der Geschichte arbeiten wolle. Sie sagte zu. Ihre Idee, den Text von Beginn an gemeinsam zu bearbeiten war genau richtig. Wir tauschten uns über die Hintergründe von Jill und Catrin aus und ließen ihr Treffen in einem etwas heruntergekommenen, aber gemütlichen italienischen Restaurant stattfinden. Wir legten weder den Verlauf, noch das Ende der Geschichte fest. Ich machte den Anfang und als ich den Text abgeschickt hatte, erlebte ich etwas sehr Schönes. Mich packte Nervosität und Vorfreude zugleich. Ich, beziehungsweise Catrin, saß in dem Restaurant und wartete.

Wenn man alleine für seine Figuren und den Verlauf der Geschichte verantwortlich ist, weiß man in welche Richtung man will. Man schreibt und webt die Fäden unaufhörlich weiter. Doch unsere Art der Zusammenarbeit zwang mich, abzuwarten was passieren würde. Und so, wie es im Leben auch oft ist, malte ich mir dennoch aus, wie die Begegnung ablaufen könnte. Als Jolene mir den nächsten Abschnitt schickte, traf Catrin auf eine charmante, aber auch vorsichtige Jill, von der ich insgeheim gehofft hatte, sie wäre offener. Ich hatte mir gewünscht, dass Jill das Ruder übernehmen würde und Catrin einfach auf sie reagieren müsse. Zwischen ihnen entstand eine intime und sehnsuchtsvolle Spannung. Keine von beiden wollte diese durch falsche Worte oder Gesten kaputt machen. Mir wurde klar, dass ich die beiden durch meine Vorüberlegungen nicht mehr in eine bestimmte Richtung drängen wollte. Ich verweilte in der jeweiligen Situation, wenn ich den Text abschickte und ließ mich darauf ein, erst zu reagieren, wenn die neue Entwicklung vor mir lag. Ich wusste nie, was mich erwartete und konnte mich nicht darauf vorbereiten, was der neue Abschnitt in mir auslösen würde. Das machte das Schreiben zu einem sehr intensiven Erlebnis.

Diese Erfahrung hat mich verändert. Ich will seitdem anderen Menschen bewusster begegnen. Ich versuche, mir nicht ständig vorzustellen, wie ein Treffen ablaufen könnte oder wünsche mir bestimmte Reaktionen herbei. Ich begebe mich in die Situation und lasse sie mit dem anderen entstehen. Ich spüre, dass diese Herangehensweise mein Schreiben ebenfalls beeinflusst. Ich lasse die Figuren aufeinandertreffen, ohne dass ich das Ende der Szene festlege. Mich durchströmt neuer Mut, die Kontrolle abzugeben und mich ganz und gar auf die Gefühle einzulassen, die im Wechselspiel Moment für Moment entstehen. Und das alles, weil Jolene mir ein „Ja“ geschenkt hat. Ich werde diese Zeit nie vergessen.

 

Hier kommt ihr zur “Gasse ohne Mondlicht”

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Auf den Spuren von Robin Hood – Ein Roman entsteht

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        Von der Suche nach einem Romanthema, einer Recherche, die fast in einem Papierkeller geendet hätte und einer Hauptfigur, die einen realen Helden zum Vorbild hat

 

 

 

Nachdem „Alles nur Kulisse“ veröffentlicht war, begann ich mir Gedanken über eine neue Geschichte zu machen, die das Potenzial für einen Roman haben könnte. Da mich die Figuren und die Thematik lange begleitet hatten, verbrachte ich viele Wochen damit zu überlegen, womit ich mich nun intensiv beschäftigen wollte. Ich wusste, dass es etwas sein musste, was meine Neugierde wecken würde, um bei den Recherchen nicht zu schnell aufzugeben, vor allem wenn es mal knifflig werden sollte und ich wollte ein spannendes Thema auswählen, das hoffentlich auch den Leserinnen und Lesern interessante Details vermitteln würde.

Eines Tages betrachtete ich meine Film- und Büchersammlung und ließ die Erinnerungen der Geschichten auf mich wirken. Robin Hoods Abenteuer lösten jedes Mal vielseitige Gefühle bei mir aus. Zum einen hatte er ein Leben außerhalb der gesellschaftlichen Norm gewählt und blieb doch den Menschen zugewandt. Mehr noch: da ihm selbst große Ungerechtigkeit widerfahren war, tat er alles, um andere davor zu bewahren. Pfiffig, charmant und gewitzt bestahl er die Reichen und verteilte das Geld an die, die es brauchten. Mich berührte der Wille, etwas verändern zu wollen und der Mut, sich gegen die Mächtigen durchzusetzen. Robin machte zudem keinen Unterschied, ob er nur einem Einzelnen helfen konnte oder Vielen, er handelte in dem Bewusstsein, dass jede seiner Gesten, jede kleine Veränderung, wichtig war.

Was würde ich erfahren, wenn ich mich auf die Spuren von Robin Hood begab? Und was für eine Geschichte könnte entstehen, wenn ich Robin in unsere Zeit hineinschreiben würde: als lesbische Frau. Diese beiden Fragen ließen mich nicht mehr los und ich begann zu recherchieren. In der Bibliothek entdeckte ich unter anderem das Buch „Helden gegen das Gesetz“ von Helmut Höfling.

Höfling schrieb in einem witzigen und intensiven Erzählton, der mich später beim Schreiben immer wieder anspornte. Die vielen Fakten, die er in Archiven und alten Schriften recherchiert hatte, brachten mir die Räuberhelden näher, die bis heute den Stoff für Geschichten liefern – auch zur Legende von Robin Hood. Denn dass Robin wirklich existiert hat, konnte bisher nicht bewiesen werden. Auch wenn in der Schatzkammerrolle von Yorkshire für das Jahr 1230 ein gewisser „Robertus Hood fugitivus“ erwähnt wird und Robin Hood um 1400 in Chroniken als historische Gestalt auftaucht, so scheint er doch eine Schöpfung der Volksphantasie zu sein. Diese stützt sich auf die Zeit um 1066, als sich sächsische Bauern und Edelleute gegen die normannischen Eroberer zu Wehr setzen mussten und einige durch ihren Mut hervorstachen.

Doch es gibt einen Mann, der als reales Urbild der literarischen Räuberhauptmänner gesehen werden kann. Am 1. April 1734 wurde Angelus Josephus Duca in der italienischen Provinz Salerno geboren. Er hätte ein Leben als Bergbauer führen können, doch durch einen Streit mit dem Feldhüter des Herzogs, zog er dessen Zorn auf sich. Angelo floh in die Berge und kämpfte von da an für die Unterdrückten, wobei er rohe Gewalt verabscheute und stets eine bestimmende Höflichkeit an den Tag legte. Tausende wählten damals das Leben als Räuber, doch durch seine besondere Art wurde Angelo für die Bevölkerung zum Helden.

Angelos Geschichte inspirierte den deutschen Schriftsteller Christian August Vulpius und er erschuf um 1799 den Räuberhauptmann Rinaldo Rinaldini – diese Figur gibt es bis heute, in neuen Geschichten, Filmen und Theaterstücken. Viele ihrer Charakterzüge wiederum finden sich auch bei Robin Hood. Ich bin sehr dankbar, wie sich manchmal im Leben alles zusammenfügt. Während ich meine Recherchen kurz unterbrach, wurde das vergilbte Buch von Höfling von 1977 aus dem Bestand der Bibliothek ausgesondert. Hätte ich dort später mit der Recherche begonnen, wer weiß, auf welche Quellen ich stattdessen gestoßen wäre und welcher Erzählton mich beim Schreiben begleitet hätte. Das Angebot der Bibliothekarin, mit mir in den Container des Papierkellers zu klettern um das Buch zu suchen, musste ich zum Glück nicht annehmen, da ich noch eine Ausgabe im Internet in einem Antiquariat fand.

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Während der Entwicklung der Geschichte stellte ich mir immer wieder die Frage: Wie würde es meiner Robin in unserer heutigen Gesellschaft gehen, wenn sie sich für andere einsetzte und ihre Interessen hinten anstellte?

 

 

 

 

 

 

Meine Heldin, Robin, wurde mit jeder Zeile, die ich über die alten Räuber las, lebendiger. Was würde ihr in unserer heutigen Gesellschaft widerfahren, wenn sie sich engagierte und für andere einsetzte? Gleichzeitig begann ich nach einer interessanten Frau zu suchen, in die Robin sich verlieben würde. Robin musste oft gegen das Gesetz handeln, wie würde sie sich wohl verändern, wenn ihr Herz plötzlich von einer Frau erobert wird, die voll und ganz hinter diesen Regeln steht? Ich vertiefte mich in die Kriminaltechnik und war fasziniert von der komplexen Arbeit der Techniker und Wissenschaftler. Indem sie die feinsten Spuren sichtbar machen, die kleinsten Details analysieren und diese Indizien zusammenfügen, helfen sie Fälle jeglicher Art aufzuklären. Ich sah eine neugierige Frau vor mir, mit viel Energie und dem Einsatz für das Gute: Hannas und Robins Geschichte konnte beginnen. Ich freue mich, sie endlich mit euch teilen zu dürfen und hoffe, ihr habt viel Vergnügen, die beiden bei ihrer Suche nach Gerechtigkeit und Liebe zu begleiten.

     Weitere Infos zu dem Roman gibt es beim Ylva Verlag: http://ylva-verlag.de/buecher/eine-diebin-zum-verlieben/

“Willst Du mit mir …” Resümee zum Schreibprojekt

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Zwei Autorinnen,

eine Geschichte – ein Experiment: Das Resümee

 

 

Genau vor einem Jahr, im November 2014, schrieben wir die ersten Sätze unserer gemeinsamen Geschichte und starteten damit ein Schreibprojekt, das uns viele Monate begleitete.
Alles begann mit der Frage von Ina an Anna: „Willst Du mit mir schreiben?“
Nun haben wir in einem Gespräch ein Resümee aus den Erfahrungen gezogen, an denen wir andere gerne teilhaben lassen möchten.

Ina: Immer mal, wenn ich abgedruckte Briefwechsel zwischen Künstlern las, war ich fasziniert davon, wie diese durch ihren Austausch inspiriert wurden, worüber sie diskutierten und stritten und wie sich ihre Art zu Schreiben im Laufe der Zeit veränderte. Anna Thur kannte ich seit einiger Zeit über Twitter. Ich hatte schon Geschichten von ihr gelesen und redigiert und immer wieder merkte ich danach, dass etwas ihres Erzähltons in mir nachschwang. Ich stellte mir die Frage, ob es klappen könnte, gemeinsam eine Geschichte zu schreiben. Also fragte ich sie.

Anna: Wenn ich an die Situation denke, muss ich heute noch schmunzeln. Auf der einen Seite hatte ich ein supergutes Gefühl bei Ina, aber zu dem Zeitpunkt war sie ohne ein Gesicht und mit dem Namen Yeeaaaahhrr unterwegs. Das machte es ‚spannend‘ …

Ina: Ach ja, das war noch meine Findungsphase auf Twitter. Anna hat später mal gesagt, dass sie ein gutes Bauchgefühl gehabt hätte und ich finde es total schön, dass sie dem gefolgt ist. Mir hat es auch wieder gezeigt, dass man trotz der weitverbreiteten Anonymität in den Sozialen Medien neue Leute kennenlernen kann, man braucht halt etwas Mut und Geduld.

Was gab es für Überlegungen und wer schrieb den Anfang?

Anna: Nach dem Beschluss, dass wir zusammen schreiben, kam erst mal die große Frage: Wie jetzt eigentlich? Wie geht das, was brauchen wir? Wir haben uns öfter geschrieben, uns herangetastet und wussten trotzdem erst nicht so richtig, wie wir anfangen sollten.

Ina: Wir stellten zunächst einige Regeln auf, zum Beispiel, dass jede bei ihrem Part minimal einen Absatz, und maximal eine Seite schreiben sollte.

Anna: In einem Worddokument haben wir uns ausgetauscht, Fragen formuliert, Dinge, wie zum Beispiel die Regeln zur Abschnittslänge festgehalten. Ich hab dann einfach folgende Fakten in den Raum geworfen: Renate, Hauptbahnhof und Hamburg, weil ich Hamburg so mag und Ina hat den Anfang geschrieben, da wir unbedingt loslegen wollten.

Ina: Um ein Ziel vor Augen zu haben, setzten wir uns als Schlusstermin Ende Februar 2015. Das Schreiben machte aber solchen Spaß, dass wir die Deadline verlängerten. Es wurde Sommer.

Was passierte während des Schreibens? Was war schwierig? Was lief gut?

Ina: Ich weiß noch, dass ich es zu Beginn sehr schwierig fand, von meinem eigenen Plan für die Geschichte wegzukommen. Ich hatte einen starken Fokus auf die Wetten gelegt und hielt diese für den roten Faden der Geschichte, somit wollte ich den auch immer wieder aufgreifen. Schon nach einigen Absätzen lief Renate mir jedoch regelrecht davon und wurde in ein ganz neues Abenteuer verwickelt.

Anna: Ich merkte auch, dass wir in unterschiedliche Richtungen strebten. Fand das aber sehr spannend, weil wir ja am Anfang extra beschlossen hatten, dass wir das offen halten. Schwieriger fand ich, in einen Schreibrhythmus reinzukommen, der Text wird deshalb auch erst später flüssiger und es wurde immer einfacher weiterzuschreiben.

Ina: Für mich war es gut, eine Deadline für den Schluss zu haben. Denn so habe ich mich immer wieder gedanklich mit dem Text beschäftigt. Genauso hilfreich war es jedoch, dass wir uns für die einzelnen Abschnitte die Zeit nehmen konnten, die wir brauchten. Ich schrieb sofort weiter, wenn ich direkt in die Szene eintauchen konnte. Wenn ich jedoch die Verantwortung hatte einen Ortswechsel durchzuführen oder eine neue Figur hinzugekommen war, brauchte ich länger.

Anna: Stimmt, so eine Deadline hat echt Vorteile, genauso, wie den Umfang der Abschnitte einzugrenzen. Das nächste Mal würde ich den dramaturgischen Rahmen enger stecken, auch wenn es einschränkt. Dadurch wird die Nacharbeit reduziert und die ist letztlich unsere große Baustelle geworden …

Ina: Uns fehlte ja zu Beginn die gemeinsame Fokussierung auf eine bestimmte Message. Zudem hatten wir nicht festgelegt, ob und wie sich Renate durch die neuen Menschen um sich herum verändert. Das hat sich erst in den letzten beiden Abschnitten herauskristallisiert. Wir müssten nun die ganze Geschichte aufarbeiten, mit der Endaussage im Kopf.

Was geschah, als die Geschichte zu Ende war?

Anna: Zuerst wollte ich gar nicht mehr aufhören, weil die Zusammenarbeit solchen Spaß gemacht hat. Aber wir waren an einen Punkt gekommen, an dem wir etwas an dem Ablauf der Zusammenarbeit hätten verändern müssen. Ohne gemeinsame Abstimmung hätten wir nicht mehr weiterschreiben können, vor allem nicht in dieser Figurenkonstellation. Wir vereinbarten, dass diejenige das Ende schreiben sollte, die es in dem Moment für die Figur am passendsten hielt.

Ina: Ohne es besprochen zu haben, wollten wir beide, dass es für Renate gut ausgeht. Ich hoffe, das ist uns gelungen. Ich würde so ein Schreibprojekt auf jeden Fall wieder machen, allerdings mit konkreteren Überlegungen zu den Hauptfiguren und der Botschaft, so wie Anna es auch schon angesprochen hat. Momentan haben wir leider nicht die Zeit, die Geschichte komplett zu überarbeiten. Wir wollten sie jedoch gern in irgendeiner Form mit anderen teilen und da kam uns die Idee mit dem schrittweise veröffentlichen auf unseren Blogs.

Anna: Und die positiven Reaktionen auf das Veröffentlichen auf unseren Blogs haben uns gezeigt, dass es eine gute Entscheidung war. Obwohl die Geschichte natürlich an der einen oder anderen Stelle holpert und wir ein paar inhaltliche Unstimmigkeiten drin haben, mögen die Leute es, die Geschichte zu lesen und mehr von unserer Arbeit zu erfahren.

Ina: Ich habe bei dieser Art der Zusammenarbeit viel gelernt. Zum Beispiel habe ich mich sehr intensiv auf die Figur eingelassen, weil ich nachempfinden wollte, warum Anna sie nun in dieser Weise handeln lässt oder warum sie plötzlich einen neuen Weg für sie vorgesehen hat. Es war auch mal ganz interessant, nicht komplett allein für die Figuren verantwortlich zu sein, sondern Anna indirekt sagen zu können: so, jetzt übernimm du bitte.

Anna: Das ging mir auch so und da hatten wir wirklich Glück miteinander, dass wir uns vertrauen konnten und unsere Zusammenarbeit in diesem Jahr auch über das Projekt hinaus so gut gewachsen ist. Das ist etwas Besonderes. Danke Dir Ina dafür und für „Willst Du mit mir schreiben?“.

Ina: Das kann ich nur zurückgeben. Na dann, auf ein Neues?

Anna: Ina, wie wäre es, wenn Du das „?“ am Ende Deines letzten Satzes in „!“ änderst?

Ina: Gerne!

Die komplette Geschichte könnt Ihr übrigens hier nachlesen: https://ina-steg.de/willst-du-mit-mir-die-geschichte/.

In einem Gastbeitrag für den Blog von Cori Kane berichten Anna und ich über weitere Aspekte des Projektes: https://seriouswriterdude.wordpress.com/2016/02/11/zwei-autorinnen-eine-geschichte-anna-thur-und-ina-steg-wagen-ein-experiment/.

 

 

“Willst Du mit mir …” – Die Geschichte

„Willst Du mit mir schreiben?“ – Mit der Frage fing es an und wir, Anna Thur und ich, haben uns in das Abenteuer gestürzt. In 11 Schritten, zwischen denen manchmal Stunden, Tage oder Wochen lagen, haben wir zusammen eine Geschichte geschrieben. Hier ist sie – uncut, unverfälscht:

Der Regen durchweichte ihre neuen Schuhe. Natürlich tat er das. Wer kaufte sich schon High Heels im Herbst? Renate schüttelte über ihr heutiges Verhalten den Kopf.
Sie betrachtete ihre frisch getönten Haare im Schaufenster und die Tüten, voll mit Klamotten, die ihre Arme schmerzen ließen. Sie hätte sich nicht auf die Wette mit Michael einlassen sollen. Es hatte ja ganz amüsant geklungen, jeden Tag etwas völlig neues auszuprobieren, aber jetzt gerade fühlte sie sich unwohl. Nein, nein, so ein Unsinn, dachte sie. Sie schaute sich um, dann eilte sie auf die Bahnhofsmission zu.
„Entschuldigen Sie, kann ich hier irgendwo eine Kleiderspende abgeben?“
Als sie das Gebäude wieder verließ, summte ihr Handy. Michael, natürlich. Ihr Sohn war zehn Mal neugieriger als ihre Tochter. Sie hörte ihn am andere Ende der Leitung sagen: „Hallo Mama. Und wie ist es gelaufen?“

Fortsetzung Nr. 1 (Anna):
„Wie soll es schon gehen, wenn man eine Wette verliert“, seufzte Renate. „Und das bei dem Wetter.“ Ihre Stimme klang nörgelig und trotzdem war herauszuhören, dass sie, egal was sie versprochen hatte, es immer halten würde. Selbst wenn es darum ging eine bescheuerte, verlorene Wette einzulösen.
Das hörte selbst der Mann heraus, der sie interessiert beobachtet hatte, wie sie im strömenden Regen auf die Bahnhofsmission zu stolziert und ohne Tüten wieder herausgekommen war. Alleine das war schon ungewöhnlich. Denn es gab nicht viele Frauen mit ihrem Aussehen, die sich hierher trauten.
Aber was er sich wirklich die ganze Zeit fragte war: „Warum hatte sie High Heels dabei an?“ Er beschloss, ihr zu folgen. Unauffällig, so lange es ging. Für den Fall, dass sie ihn doch bemerken würde, holte er vorsorglich seinen Presseausweis heraus und versuchte ihn sich an der Brusttasche seiner Jacke anzuheften, während er ihr nachging.
Es war gar nicht so einfach, das richtige Tempo zu halten, ihr nicht zu nah zu kommen und sie trotzdem nicht zu verlieren, während ihn die kleine biestige Nadel des Ausweises stach. Er fluchte darüber, während sich schon in seinem Kopf die Schlagzeile zu der schönen Unbekannten formte:

Fortsetzung Nr. 2 (Ina):
„Wette gegen Mid-Life-Crisis“
Er grinste über seine geniale Idee und stolperte dabei fast über einen Hund, der an einem seiner Beine entlang streifte. Seine Besitzerin zog den Hund weg. „Passen sie doch auf!“
„Entschuldigung“, flüsterte er. Hastig sah er zu der Frau, doch sie hatte ihn nicht bemerkt. Konzentriert tat sie einen Schritt vor den anderen und sprach laut, gegen das Trommeln der Regentropfen um sie herum, an.
„Doch, ich hab es ja versucht. Aber es war eine bescheuerte Idee, das bin nun mal nicht ich. Ach, Herrgott noch mal …“, sie taumelte, „… warte bitte kurz …“. Sie blieb stehen, lehnte sich an eine Häuserwand, klemmte das Handy zwischen Schulter und Ohr, zog die Schuhe aus und schleuderte sie über den Bürgersteig.
Der Mann duckte sich, doch zu spät. „Aua, scheiße, verdammt!“

Fortsetzung Nr. 3 (Anna):
Er hatte versucht auszuweichen, aber das hatte es noch schlimmer gemacht. Er hatte sein Gleichgewicht verloren und trotzdem hatte er das Wurfgeschoss abbekommen. Der Schuh hatte ihn so ungünstig getroffen, dass der Absatz auf seiner Stirn einen tiefen Kratzer hinterlassen hatte. Er fing an zu bluten.
Renate sah den Fremden mit einer Mischung aus Entsetzen und Angst an. Er wirkte so schlampig, zerknittert. Aber sie war schuld daran, dass er blutete. Aus sicherem Abstand fragte sie ihn, ob alles okay wäre. Und als sie hörte, wie er vor sich hin schimpfte, dass er mal wieder auf der Jagd wegen einer blöden Wette in eine so dämliche Situationen gekommen war, schaute sie irritiert. „Wette, wieso Wette?“ Ihre Alarmglocken schrillten. Was wusste er über sie?
„Ja, sie und ihre blöde Wette und jetzt ist meine Jacke versaut, voller Blut, wie soll ich denn da nachher zu dem Termin gehen?“ Renate packte die Panik: „Sind sie mir etwa gefolgt?“
„Ja … nein … ich“, das Wasser lief über seine Wangen, seine Hände, er strich sich über die Stirn – nun hatte sich das Wasser rötlich gefärbt. Ihm wurde schwindelig. Er konnte doch kein Blut …

Fortsetzung Nr. 4 (Ina):
Er blinzelte. Grelles Licht. Er sah nach vorne. Strahlendes Weiß. Er sah nach links. Nackte Füße. Nackte Füße? Er setzte sich auf. „Autsch!“ Sein Kopf pochte. „Werden Sie jetzt wieder ohnmächtig?“ Die Frau lehnte in einem Stuhl, ihre nackten Füße hatte sie auf den gegenüberstehenden gelegt. Hitze stieg ihm ins Gesicht. Er war ohnmächtig geworden. Vor ihr. Nein, wegen ihr!
„Sie haben aber auch einen harten Wurf.“ Die Frau setzte sich gerade hin. „Ich spiele seit 35 Jahren Baseball.“ Er grinste.
„Was gibt es zu lachen?“
„Sie in einem Baseballdress … eine interessante Vorstellung“ … und irgendwie sexy, ergänzte er in Gedanken. Schnell sah er auf den Boden. „Warum sind sie überhaupt barfuß?“ Sie erhob sich. „Weil ich wegen ihnen in Panik ausgebrochen bin, den scheiß Krankenwagen gerufen habe, sie hier her begleitet habe um ihr Händchen zu halten und meine ganzen Sachen deswegen noch in irgendeinem gottverlassenen Hauseingang stehen, an einen Hauseingang, an den ich mich noch nicht mal mehr erinnern kann.“ Sie wandte sich zur Tür.

 Fortsetzung Nr. 5 (Anna):
„Warten sie!“ Er versuchte sich aufzusetzen und zuckte vor Schmerzen sofort zurück. Sein Kopf fiel schwer in das Kissen. Sie sprang zu ihm: „Sie dürfen sich nicht bewegen, hat doch der Arzt gesagt.“ Ihre Stimme klang leicht entnervt.
„Leider war ich geistig nicht anwesend und habe das nicht mitbekommen.“ Er versuchte seine Stimme so nüchtern wie möglich klingen zu lassen. Doch der Witz war bei ihr angekommen und sie lächelte, jetzt ein wenig versöhnlich.
„Schon besser“, kommentierte er es.
„Was habe ich noch verpasst?“ Vorsichtig sah er sich im Zimmer um und drehte sich zur Seite. Sein Blick fiel auf seine Uhr, die auf dem Nachttisch lag. Er stöhnte. „Meine Kinder …“
„Was ist mit ihnen?“
„Ich muss sie abholen.“ Er versuchte aufzustehen. Aber sie drückte ihn zurück in die Kissen. „Das geht jetzt nicht. Sie sind beim Hinfallen hart aufgeschlagen und dürfen jetzt wirklich nicht …“
„Aber meine Kinder …“ Er versuchte weiter unter Stöhnen aufzustehen, während Renate ihn nach unten drückte. Er verzweifelte „Lassen sie mich, als Alleinerziehender muss man immer. Egal wann oder wie.“
„Kontrollfreak oder was? Sie müssen doch sicher nicht alles alleine machen. Rufen sie ihre Eltern an, lassen sie jemanden anderen die Kinder holen, sie sind jetzt dran mit ausruhen.“
Aber er schüttelte nur den Kopf. Plötzlich wurde ihm wieder sehr schwindelig. Seine Haut wurde blasser, als sie vorher schon gewesen war. Renate hätte nicht für möglich gehalten, dass das ging und staunte, wie kalkweiß er vor ihr lag. „Da ist niemand. Ich muss.“ Eine Träne ran aus seinem Augenwinkel.
„Okay, ich wollte heute eh nicht mehr nach Hause. Ich kann mich um die Kinder kümmern, wenn sie mir das zutrauen.“ Er sah sie schief an. „Eigentlich sind sie viel zu gefährlich für eine Babysitterin.“ „Ehrlich, ich bin selbst Mutter und weiß, was ich tue.“ Sie sah an sich hinunter, „meistens jedenfalls.“
„6, 8, 11, Lilly, Annabell, Finn, Kita Rübenkamp 123, dann Grundschule Genßlerstraße 33, Finn lotst sie von da weiter.“ Er warf sich nach oben und kotzte geräuschvoll in die Spukschüssel auf dem Nachttisch. Mit einem Stöhnen fiel er zurück in die Kissen und wiederholte wie ein Roboter: „6, 8, 11, Lilly, Annabell, Finn, Kita Rübenkamp 123, dann Grundschule Genßlerstraße 33, Finn lotst sie von da weiter.“
Da verstand Renate: das war die Instruktion für sie und mit dieser würde sie zu seinen drei Kindern finden. „Lilly wartet schon.“ Schnell holte sie einen Stift und Zettel, notierte die Abholerlaubnis, ließ ihn unterschreiben und sprintete los zum Taxi. Schweißüberströmt kam sie an der Kita an und befürchtete, dass sie ihr Lilly wegen ihres Aussehens nicht mitgeben würden. Immerhin war sie immer noch barfuß. Aber die Erzieherin hatte ganz andere Sorgen: „Also es mag ja so sein, dass der Michael Ihnen das geschrieben hat. Trotzdem mache ich da nicht mit. Was soll das Kind denn lernen: dass da nur irgendjemand Fremdes kommen braucht und behaupten muss, dass der Papa krank ist? Nee, die Kleine bleibt hier.“ Kein Widerspruch half. Erst als die Polizei kam, ließ sich die Erzieherin überzeugen.

Fortsetzung Nr. 6 (Ina):
„Wer bist du?“, „Warum bist du barfuß?“, „Wo ist der Papa?“ – Finn fragte ganz viel, die anderen beiden waren still. Sie ging in die Hocke. „Euer Papa hatte einen Unfall, aber macht euch keine Sorgen, es wird ihm bald besser gehen … wir rufen ihn gleich an, dann wird er euch alles erklären. Ich bin heute euer Kindermädchen. Ihr kennt doch bestimmt den Film Mary Poppins?“ Die drei nickten. Annabell sagte: „Aber Nanny McPhee ist cooler.“ Renate lachte, auch wenn es in ihrem inneren rumorte. Sie konnte die drei doch nicht nach Hause bringen und dort allein lassen … „Was haltet ihr davon, wenn wir zu mir nach Hause fahren?“ Die drei sahen sie mit großen Augen an. „Und was ist mit Jack und Will?“ Renate spürte, wie sich ein Schweißfilm auf ihrem Rücken bildete. „Wer sind denn die beiden?“ „Jack ist unser Papagei und Will unser Kater.“ Drei fremde Kinder, zwei fremde Tiere, sie war immer noch barfuß und wenn sie nicht bald etwas zu essen bekam, dann würde sie umfallen. „Jetzt steigen wir erst mal in ein Taxi und fahren zu euch, dann sehen wir weiter.“
Im Taxi waren die Kinder still. Renate schickte eine WhatsApp an ihren Sohn: „Ich brauche dringend deine Hilfe. Hast du Zeit? – Alte Straße 48. Bring viel Pizza mit und ein Paar Turnschuhe von dir.“ Sie gelangten in ein Viertel, nahe des Hafens. Die Bäume waren hier knochig und wirkten vom Wind zerzaust, ihre Äste standen kreuz und quer in alle Richtungen. Vor einem Haus mit gelber Fassade und himbeerroten Fenstern blieb das Taxi stehen. Finn zog den Schlüsselbund von seinem Hals und rannte auf die Haustür zu. Renate zahlte. Sie konnte gerade noch die Antwort ihres Sohnes lesen. „Hat es was mit einer Wette zu tun? Ich bin eh in der Nähe und gleich da.“ Renate folgte den Kindern zum Eingang. Als er die Tür aufschloss und sie eintraten, blieb ihr der Mund offen stehen.

Fortsetzung Nr. 7 (Anna):
Ein großer grüner Drache starrte sie an. Oder starrte er doch auf ihre Füße? Seine Augen zeigten in verschiedene Richtungen und sie konnte nicht ausmachen, was er hauptsächlich anglotzte. „Fridolin“, kreischte da Lilly los und rannte auf den Drachen zu. Sie blieb kurz vor ihm stehen, holte Schwung und sprang – direkt in den Drachen hinein. Renate wurde schwindelig. Das war ganz schön viel für einen Tag. Aber das hatte sie davon. Schließlich hatte sie beschlossen, dass ihr Leben so nicht weiter gehen konnte und war losgefahren, um alles zu ändern. Da flog auch schon die Tür hinter ihr auf und ihr Sohn stand grinsend da. „Hab ich doch gesagt, dass es reicht, Majas Kleider zur Bahnhofsmission zu bringen, um alles zu ändern. Aber wieso du gleich noch deine Schuhe loswerden musstest, musst du mir sofort erzählen.“ Ein Kreischen unterbrach ihn und er starrte jetzt auch auf den grünen Drachen. „Was ist das denn?“, seine Kinnlade klappte herunter.
Renate sah ihn an: „Ich habe keine Ahnung.“
Lilly kreischte wieder. Aber es klang weder ängstlich, noch verzweifelt, sondern einfach fröhlich. Der Drache hatte inzwischen seinen Kopf verloren. Er kullerte auf den Flurfliesen herum. An der Stelle, wo er auf den Schultern des grünen Ungetüms gesessen hatte, waren jetzt dunkle Locken zu sehen. Sie waren verklebt, weil die Person in dem Kostüm offensichtlich extrem schwitzte. Lilly kreischte wieder und hüpfte auf dem Drachen herum. „Fridolin, Fridolin, Fridolin.“
Renate sah die anderen zwei Kinder fragend an. „Sollten wir sie von ihm runterholen?“ Annabell und Finn grinsten nur. „Schon gut, das ist nur Fridolin. Unser Onkel.“
„Ihr habt einen Onkel? Wieso hat der euch heute nicht abholen können?“, rutschte es Renate heraus.
Finn sah sie schief an, „Das geht doch nicht, Fridolin ist viel zu unzuverlässig. Sagt Papa immer.“
Na toll, dachte Renate. Da hatten wir jetzt drei Kinder, zwei Haustiere, einen unzuverlässigen Drachen und eine Situation die sie komplett überforderte.
„Pizza?“, ihr Sohn kannte sie einfach zu gut. Genau deshalb hatte er herkommen sollen. Sie nickte und ging auf die Wohnzimmertür zu. „Halt!“, Finn schob sie zur Seite. „Wir gehen besser zuerst rein. Will kennt dich nicht, er ist nämlich eine Wachkatze.“ Das hatte er allerdings zu spät gesagt, denn Renate hatte schon die Tür aufgeschlossen und Katzenzähne bohrten sich in ihren großen Zeh.

Fortsetzung Nr. 8 (Ina):
Sie schrie auf – die Katze biss noch fester, neben ihr tauchte ein Drachenfuß auf und stupste die Katze an. „Lass sie in Ruhe“, die Katze sah erschrocken hoch und rannte dann zu den Kindern in den Flur.
Hinter den Locken zeigten sich dunkle Augen. Der Mann, nun ja, es war eher ein junger Kerl, sah nach unten. „Sie bluten.“
Sie biss sich auf die Lippen. „Das habe ich heute auch schon zu jemanden gesagt, zu ihrem Bruder!?“
„Andreas?! Was ist mit ihm?!“
Sie zog ihn etwas zur Seite. „Er ist im Krankenhaus, Kopfverletzung, es wird aber.“
„Du meine Güte. Kann ich ihn anrufen?“
„Vielleicht nach dem Essen – mit den Kindern zusammen?“
„Ja, natürlich.“ Er lächelte sie an. Er betrachtete ihr Gesicht. Renate wandte den Blick ab.
„Zeigt ihr mir die Küche?“, hörte sie ihren Sohn rufen. „Yeeeaaahr“, hörte sie zwei der Kinder jubeln. Finn kam ins Zimmer und schlang die Arme um den dicken Drachenbauch. „Papa ist nicht da.“ Fridolin versuchte sich zu ihm runter zu beugen und kippte leicht, humpelnd stemmte sich Renate gegen ihn. „Alles gut, mein Großer, ich bin da und diese sehr nette Frau ohne Schuhe auch.“ Er grinste.
Finn sah die beiden an, „ich hole ihr Socken!“
Renate lächelte. „Das ist das Beste, was ich heute höre.“
Ihr Sohn kam herein und trug zwei riesige Teller mit Pizza. „Abendbrot!“
Die Kinder stürmten in das Zimmer. Finn reichte ihr die Socken. „Vielen Dank.“
„Wer füttert mich?“, rief Fridolin. „Wir alle!“, rief Lilly. Abwechselnd schoben sie sich und Fridolin die Pizzastücke in den Mund. Während des Essens wurden sie ruhiger.
Das Essen tat gut, in ihr wurde es warm, die Kinder waren endlich zu Hause und in der Nähe ihrer Betten.
Ihr Sohn musterte sie. „Siehst du“, sagte Michael, „nur wegen der Wette hattest du so einen aufregenden Tag und hast anscheinend gleich zwei Männer kennengelernt.“ Er sah zu Finn. „Entschuldige, sogar drei.“
Renate nahm eines der Kissen und warf es nach ihm.
Fridolin sah sie an und grinste verschmitzt. Ihre Blicke trafen sich. Er kaute und sah ihr tief in die Augen. Meine Güte, flirtete er mit ihr? Sie war doch mindestens fünfzehn Jahre älter.
„Waff für eine Wette?“, fragte er zwischen den Bissen.

Fortsetzung Nr. 9 (Anna):
Renate schluckte. Schon mehrmals war sie heute kurz davor gewesen, es zu erzählen – das Undenkbare. Bisher hatte sie sich immer zurückhalten können. Sie wollte das doch nie: So eine emotionale Kuh sein, die jedem gleich ihre Tragödie auftischte und intime Details ausplauderte. Sie nahm sich noch ein Stück Pizza, sah auf den geschmolzenen Käse, roch die Salami und biss noch einmal ab. War es wirklich noch so wichtig, ob es jemand außerhalb der Familie wusste oder nicht? War nicht, nach allem, was passiert war, endlich Zeit loszulassen? Sie schob die Pizza extra weit in ihren Mund, damit er ja so voll wäre, dass sie nicht sprechen könnte und starrte auf die Socken, die ihr Finn vor ein paar Minuten in die Hand gedrückt hatte. Sie sahen eindeutig männlich aus. Und zu groß waren sie ihr. Zu groß wie ihr altes Leben.
„Majscha hatmisch vlasden.“
Die Worte kamen einfach so aus ihr heraus. Sie waren kaum zu verstehen, aber für Renate war das sehr viel. Michael sah seine Mutter mit großen Augen an. Sie hatte wirklich etwas sehr Privates gesagt und hielt sich an ihre Abmachung, jeden Tag etwas Neues auszuprobieren. Und dabei war es heute schon die zweite Sache.
Renate schluckte die Pizza herunter und plapperte los: Wie sie Matthias kennengelernt und ihn verletzt hatte. Wie sie die Tüten zur Bahnhofsmission gebracht hatte, wie sie überhaupt erst auf die Idee gekommen war, weil es da diese Wette mit ihren Kindern gab. Wie sie Majas ultrasexy Kleidchen, die Renate plötzlich so hasste, in die Tüten gestopft und verschenkt hatte, einfach nur, um etwas Neues zu tun statt zu Hause zu weinen. Immer weiter redete sie sich in die Vergangenheit hinein. Bis zu dem entscheidenden Punkt: Das Maja, ihre große Liebe, sie verlassen hatte und ihr Leben deshalb gerade gar keinen Sinn mehr machte.
Fridolin fiel dazu nur eins ein: „Ich hab keine Chance bei dir?“
Renate lachte. Das war das Letzte, das sie erwartet halte. Immer hatte sie sich in den schillerndsten Farben ausgemalt, wie Leute auf ihr Outing reagieren würden. Jahrelang hatte sie alles geleugnet und verschwiegen, nur ihre Familie wusste davon. Jahrelang hatte sie mit der Geheimniskrämerei ihre Beziehung zu Maja ruiniert, bis am Ende keine Kraft für die Liebe mehr übrig gewesen war.
Fridolin störte es gar nicht. Er dachte nur darüber nach, ob er sie ins Bett kriegen würde oder nicht. Und Renate, die Renate, die sich eigentlich seit Jahren keinen Mann an ihrer Seite vorstellen konnte, fand das gar nicht so schlimm.
„Hab ich was Falsches gesagt?“
Renate schüttelte den Kopf und lächelte ihn an.

Fortsetzung Nr. 10 (Ina):
Michael setzte sich neben sie und legte den Arm um ihre Schulter. „Mensch, Mama, hättest du mir das mal eher gesagt, wir hätten doch zusammen auf die Rolle gehen können.“
Sie boxte ihn gegen die Schulter, „du bist ein Blödmann“.
Er legte den Kopf leicht schief. „Wie geht es dir?“
Sie merkte, wie sich ihre Kehle zuschnürte. „Ich fühlte mich so allein.“
Fridolin stand auf und kippte dabei fast um, dann ließ er sich ebenfalls neben sie plumpsen. „Ich glaube, heute hast du viele neue Freunde gewonnen, oder Kinder?“
Die Kids stürmten auf sie los und umarmten sie gleichzeitig: „joaaaaaahhhrr“.
Renate lachte auf und schüttelte über ihr eigenes Verhalten den Kopf.
Warum hatte sie nicht viel eher den Mut gefunden?
Manchmal braucht es vielleicht ein paar Fremde, um die richtige Entscheidung zu treffen.

-Ende-

 

Das Resümee von „Zwei Autorinnen, eine Geschichte – ein Experiment“: Wenn ihr mehr über die Hintergründe erfahren wollt, wie unser Schreibprojekt entstanden ist und wie das gemeinsame Schreiben lief, dann schaut hier vorbei: https://ina-steg.de/willst-du-mit-mir-resuemee-zum-schreibprojekt/. Zudem haben wir einen Gastbeitrag für den Blog von Cori Kane verfasst: https://seriouswriterdude.wordpress.com/2016/02/11/zwei-autorinnen-eine-geschichte-anna-thur-und-ina-steg-wagen-ein-experiment/.

 

Zwei Autorinnen, eine Geschichte – ein Experiment

Christian_4f Aufzeichnen

 

 

 

 

                                                           

                                                                            schreiben?

 

 

 „Willst Du mit mir schreiben?“ – Mit der Frage fing es an und wir, Anna Thur und ich, haben uns in das Abenteuer gestürzt zusammen eine Geschichte zu schreiben. Am Anfang ohne eine Idee, wie das eigentlich gehen soll, wenn man sich nicht kennt, hunderte Kilometer zwischen einem liegen und mit nichts mehr als einfach nur einem freundschaftlichen Gefühl füreinander, was durch Twitter gewachsen war. Wir haben einfach losgelegt und dann nach und nach den Rahmen gesteckt.
Am Ende steht etwas, was wir beide sehr mögen und in unseren Blogs gerne zugänglich machen möchten. Ab dem 01. November, dem Startschuss des National Novel Writing Months, wird für 11 Tage jeden Tag ein Stück mehr des Entstandenen veröffentlicht.
So wie der Text gewachsen ist, könnt ihr ihn erleben, mitlesen und weiterfiebern was als nächstes passieren wird. Ihr seid dann mittendrin in der Entstehungsgeschichte und erlebt somit, was hinter den (Schreib-)Kulissen passiert, lange bevor ein Text veröffentlicht wird. Und ganz am Ende verraten wir euch mehr darüber, wie wir zusammengearbeitet haben und wie es mit der Geschichte weiter geht.

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