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„Das Theater zieht einen in den Bann. Hat man lediglich Bilder von einem Stück, fehlen die Musik und die Stimmen und somit ein großer Teil der Atmosphäre. Um das auszugleichen muss ich nah an die DarstellerInnen heran und Momente finden, in denen sie ganz eins mit ihrer Rolle sind. Ich will die Spannung einfangen, die schon fast die Luft zum knistern bringt. Anfangs hieß das für mich, dass ich mir jedes Stück einmal ansah, bevor ich es dann bei der nächsten Probe fotografierte. Inzwischen habe ich genug Übung. Ich lasse mir den Ablauf kurz erzählen und fotografiere direkt. Das zu erreichen hat einige Jahre und Vorstellungen gebraucht, hilft mir inzwischen aber auch sehr bei anderen Aufträgen.“
„Am liebsten fotografiere ich bei einer Probe auf der Bühne, bewege mich zwischen den SchauspielerInnen und ArtistInnen. Es ist ein seltsames Gefühl, wenn ich ein Stück fotografiere. Ich tauche so sehr ein, dass ich vieles um mich herum gar nicht mehr wahrnehme.“
„Mit der Theaterfotografie begann es, als ich während des Studiums an der Fotoakademie in Köln den Auftrag bekam ‚Die Produktion von …‘ zu fotografieren. Während meine KommilitonInnen zu Geigenbauern, Winzern und ähnlichem zogen, war für mich klar, dass ich die Produktion eines Theaterstückes dokumentieren wollte. So kam es, dass ich vier Wochen lang eine Kollaboration zwischen Schauspielern, Artisten und Musikern im Zirkus- und Artistikzentrum in Köln dokumentierte, die gemeinsam in einem sehr freien Schaffungsprozess ein Stück entwickelten. Diesen Prozess zu begleiten hat mich und meinen Blick auf das Theater sehr geprägt. Es ging dabei nicht darum, ein klassisches Stück in einer neuen Interpretation auf eine große Bühne zu bringen, sondern Dinge auszuprobieren, sich auf Neues einzulassen, seine Komfortzone zu verlassen und etwas hervorzubringen, das nur im Zusammenspiel Aller entstehen konnte.“
„Als Fotografin bin ich häufig einer der ersten Außenstehenden, die das Stück (fast) fertig sehen. Einmal wurde ich nach der Generalprobe gefragt, was ich davon halten würde, wie sich die Musik peu à peu verändert, indem sie von einem harmonischen Stück immer schräger und schiefer wird. Ich hatte es nicht wahrgenommen. Bei der Premiere, die ich als Zuschauerin sah, war mir unbegreiflich, wie es mir nicht hatte auffallen können, wie sehr die Musik sich verändert. Aber wenn ich fotografiere, wird so etwas offenbar nebensächlich für mich.
Vielleicht ist es auch das, was ich an der Theaterfotografie so mag, das Menschliche dazwischen. Mit einem bestimmten Regisseur habe ich schon häufig zusammengearbeitet. In der Zusammenarbeit mit ihm habe ich die Möglichkeit, mich sehr viel mehr in das Stück einzubringen, anstatt es wie sonst nur zu dokumentieren. So bin ich, obwohl ich ’nur‘ Fotografin bin, beim ersten Treffen mit den SchauspielerInnen dabei, kann Gedanken zum entstehenden Stück äußern und bin sehr frei, was die Umsetzung des Plakates angeht. Zum Teil konnte ich Filme und Bildsequenzen, die in dem Stück verwendet wurden, beisteuern. So wird aus der dokumentarischen Theaterfotografie auf einmal ein gemeinsamer Schaffensprozess, was mich persönlich sehr erfüllt.
Nach einigen Jahren in diversen Theatern kannte ich die ersten Fettnäpfchen und Fallstricke (nach der Generalprobe wird nicht applaudiert, man spuckt sich vor der Premiere über die Schulter und wünscht sich ‚Toi Toi Toi‘, niemand läuft über den frisch geputzten Tanzboden usw.). Ich hatte viele SchauspielerInnen kennengelernt und wusste wie es wo zugeht. Nach und nach wurde mir bewusst, dass der Blick der ZuschauerInnen sich nur auf das Geschehen auf der Bühne richtet, etwas ganz essentielles aber verborgen blieb: die künstlerischen LeiterInnen der jeweiligen Bühnen. Die Menschen, die ihre Idee, vielleicht auch Vision, ihres Theaters umsetzen.
Manche Theater sind politisch, andere richten sich an Kinder, wieder andere sind extrem experimentell. Vor allem die kleinen Theater sind ein Spiegel der Persönlichkeit Ihres bzw. Ihrer künstlerischen LeiterIn, es sind für mich die ‚Bühnenseelen‘. Diese Menschen wollte ich zeigen, ihnen eine eigene Bühne bieten. Für mich sind sie, neben den großartigen SchauspielerInnen, der Kern der Kölner Theaterszene. Somit portraitierte ich über 1,5 Jahre ca. 50 künstlerische LeiterInnen / IntendantInnen der freien Kölner Theaterszene.“
Hinter den Kulissen
Marina Barth_Klüngelpütz
Heinz Simon Keller_Theater der Keller
Mareike Marx_Metropol Theater
„Ich traf mich mit jedem bzw. jeder an einem Ort seines/ihres kreativen Schaffens. Und so wie ich bei der Bühnenfotografie versuche, den Moment der Rolle einzufangen, versuchte ich bei diesen Menschen ihre Persönlichkeit zu erfassen. Manchmal fand ich diesen Moment nach 15 Minuten, manchmal tranken wird vorher dreieinhalb Stunden lang Kaffee und unterhielten uns, bis genug Vertrauen und Offenheit da war, um den Menschen, und nicht nur eine Maske, zu zeigen.“
Anne Barth_Theaterfotografie_Portraits_Reportagen
Anne Barth ist seit 2016 selbstständige Fotografin, das Fotografie-Diplom wurde ihr kurz davor an der Fotoakademie in Köln verliehen. „Ins Theater bin ich schon immer viel gegangen. Als Grundschulkind hatte ich gemeinsam mit einer Freundin ein Abo für das Theater im nächsten Ort. Einmal im Monat putzten wir uns nach eigenem Ermessen fein heraus und sahen ‚Die Zauberflöte‘, ‚Die kleine Hexe‘, ‚Der Nussknacker‘ und vieles mehr. Als Studentin in einer anderen Stadt waren es unter anderem die vergünstigten Studententickets, die mich regelmäßig ins Theater zogen. Ein paar Jahre später heiratete ich sozusagen in eine Theaterfamilie ein, meine Schwiegermutter leitet das Kölner Kabarett-Theater ‚Klüngelpütz‘, mein Schwiegervater hat das Theaterpädagogische Zentrum, sowie das ‚Zirkus- und Artistikzentrum Köln‘ ins Leben gerufen.“
Bewegungen bannen und
Licht einfangen
Selbstportrait_Pfingstrose
Bei ihrer ersten umfassenden Dokumentation der Entstehung eines Stückes während des Studiums begegnete sie auch den besonderen Herausforderungen und Tücken der Theaterfotografie. „Nun, sechs Jahre später, glaube ich, dass ich im Theater bzw. Zirkus (dabei spreche ich stets vom modernen Artistik-Zirkus) einen großen Teil meiner technischen Fähigkeiten erlangt habe. Im Theater und Zirkus ist es prinzipiell sehr dunkel, die Kontraste sind sehr hoch. Unsere Augen sind viel besser als eine Kamera in der Lage, schwierige Lichtsituationen zu kompensieren. Gleichzeitig gibt es unerwartete, mitunter schnelle Bewegungen. Dadurch kann ich einerseits nur kurz belichten, was der schlechten Lichtsituation zuwiderläuft, andererseits muss ich selbst sehr schnell sein und ‚wissen‘ wann wo was passiert. Aber auch das macht für mich den Reiz der Theaterfotografie aus. Ich stehe plötzlich in einer verrückten, bunten, mitunter schrillen Welt und während ich noch in sie eintauche, dokumentiere ich sie. Was mich berührt, fange ich mit meiner Kamera ein. Genau dafür bin ich Fotografin geworden.“
Die Serie ‚Bühnenseelen‘ wurde im Rahmen der letzten Kölner Theaternacht im Oktober 2019 ausgestellt. Die Portraits sind auf der Webseite von Anne Barth zu sehen.
Die Fotos „auf der Bühne“ entstanden in den Jahren 2016 bis 2020 in Köln.